© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/24 / 21. Juni 2024

Bittere Niederlage
Finnland: Die rechte Finnen-Partei erlebt bei der EU-Wahl überraschend ein politisches Desaster. Ein Kurswechsel ist bei der Regierungspartei jedoch nicht geplant
Olli Kotro

In der Umfrage des öffentlich-rechtlichen YLE drei Tage vor der EU-Wahl sah die Welt der rechten Finnen-Partei (PS) noch recht rosig aus. Beinah Kopf- an- Kopf mit der Nationalen Sammlungspartei (Kokoomus; 20,6 Prozent) und den Sozialdemokraten (SDP; 19,4 Prozent) folgten sie mit 16,5 auf Platz drei. Doch der stetige Abstieg seit Februar um satte drei Prozentpunkte hätte bei der Parteichefin und stellvertretenden Ministerpräsidentin und Finanzministerin Riikka Purra und sieben weiteren PS-Ministern die Alarmglocken schrillen lassen sollen. 

„Da war ein Feuer. Wir sind geschlagen worden, das ist sicher. Ebenso klar ist, daß wir uns erheben werden. Nun zu etwas Sauerstoff und einer Analyse der seltsamen Wahl. Die Kandidaten und das Feld verdienen Lob“, schrieb Purra nach der EU-Wahl X. Die Finnen-Partei erlebte mit 7,6 Prozent ein Debakel. Statt der erhofften zwei nur ein Sitz im EU-Parlament.  

Finnen-Partei mutiert von der Oppositions- zur Regierungspartei 

„Schließlich werden Sie dafür bezahlt, den Sozialstaat zu zerstören und die amerikanische Kriegsindustrie zu fördern. Wie wollen Sie sich davon erheben, wenn Sie jeden Tag eine Politik gegen die Interessen des finnischen Volkes betreiben?“, antwortete ihr Aki Nummelin auf X.  Mika Korpimo meint dort: „Sie haben fast alle Versprechen, die Sie bei der Parlamentswahl gemacht haben, gebrochen“.

Bis Anfang der 2020er Jahre war die Perussuomalaiset (PS) eine Partei, die sich unter der Führung Jussi Halla-ahos gegen die „unkontrollierten Einwanderungswellen“ aussprach und in ihrem Wahlprogramm das langfristige Ziel eines Austritts aus der EU (Fixit) verfolgte. Jedem, der die Politik aufmerksam verfolgte, war jedoch klar, daß sie mit einer solchen Linie nicht in die Regierung kommen würde, und so begann die Partei ab 2021 langsam, ihre Haltung zur EU aufzuweichen. 2021 wurde Riikka Purra als Nochfolgerin Halla-ahos gewählt, und schon damals begannen unter Purras Führung geheime Gespräche mit der Kokoomus, um 2023 eine Regierung zu bilden. Die Sozialdemokraten bekamen von diesem „Deal“ Wind und kündigten daher bereits im März 2023 durch Sanna Marin an, daß die SDP nicht mit der PS in die Regierung eintreten würde. 

Die Regierungsbildung in Finnland im Sommer 2023 wurde von einem Aufruhr darüber begleitet, was Riikka Purra zuvor in sozialen Medien kritisch und unsensibel über Einwanderung geschrieben oder gesagt hatte. Dies war besonders schwierig für die Schwedische Volkspartei (SFP), die für ihre weltoffene Einstellung zur Einwanderung bekannt ist. Die PS konnte jedoch ein hohes Maß an Unterstützung aufrechterhalten und schaffte es, mehrere Verschärfungen der Einwanderungsgesetze und erhebliche Ausgabenkürzungen bei der Entwicklungshilfe in das Regierungsprogramm aufzunehmen. 

Der neue wirtschaftsliberale Kurs schmeckt vielen Anhängern nicht 

Im großen und ganzen war die PS jedoch gezwungen, das Wirtschaftsprogramm der Koalition zu akzeptieren, das Kürzungen bei den Sozialleistungen, beim Arbeitslosenschutz und Einschränkungen des Streikrechts vorsah. Um in die Regierung zu kommen, traf die PS vor den Parlamentswahlen außerdem eine geheime Vereinbarung mit der Koalition und der gesamten finnischen politischen Elite, die ID-Fraktion im Europäischen Parlament zu verlassen und sich der EKR-Fraktion anzuschließen. Dies geschah am 5. April 2023, drei Tage nach den Wahlen. 

Damit vollzog die PS ihre zweite Transformation. Zunächst verwandelte sie sich von Timo Soinis „Arbeiterpartei ohne Sozialismus“ in Halla-ahos Anti-Einwanderungspartei und schließlich in eine wirtschaftsliberale Quasi-EU-Partei unter der Führung von Purra. Das einzige Thema der Partei bei den EU-Wahlen war die Einwanderung, aber der Wahlkampf verlief schleppend, da die Koalition nicht zuließ, daß ein Regierungspartner EU-feindlich agiert. Folglich wurde ein prominenter und bei einem Großteil der Partei beliebter EU-kritischer Europaabgeordneter, Teuvo Hakkarainen, von der Kandidatenliste gestrichen mit der Begründung, er habe „gegen die Partei“ gehandelt. Am 9. Mai 2024, dem Europatag, wurde Hakkarainen entlassen. Erschwerend kam hinzu, daß der Abgeordnete der Partei, Timo Vornanen, von Beruf Polizist, sich nach einem Streit vor einem Nachtclub in Helsinki mit einer Pistole in den Kopf schoß. Trotz alledem ergab eine Umfrage des finnischen Staatsfernsehens (YLE), daß die PS am 6. Juni immer noch 16,5 Prozent der Stimmen erhielt.

Doch aus kleinen Bächen wurde ein Sturzbach. Die Partei hat das Wirtschaftsprogramm der Koalition umgesetzt und ist nun weit davon entfernt, der Vertreter des „kleinen Mannes“ zu sein. Sie übt nicht mehr viel Kritik an der EU, sondern spricht von einer „Reform der EU“, was viele Anhänger irritiert. Sie ist nur ihrer Kritik an der Einwanderung treu geblieben. Jetzt, wo die Koalition ihre Ziele erreicht hat, würde es sie nicht einmal stören, wenn die Regierung stürzt. „Ein ‘Casus belli’ könnte zum Beispiel darin bestehen, daß die Schwedische Volkspartei ihre Position in der Regierung wegen der Ansichten der PS zur Einwanderung überdenken würde. Es gibt auch Pläne, in Finnland ein neues „Refoulement-Gesetz“ einzuführen, das Abschiebungen unter Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention im Ausnahmezustand ermöglichen würde. Die Verabschiedung des Gesetzes erfordert auch die Stimmen der Opposition, was eine Ausnahme darstellt, so daß dies eine weitere Möglichkeit ist, eine Krise zu schaffen. 

Nach dem Wahldesaster schlug der frühere Par-teisekretär Arto Luukkanen sogar einen vorgezogenen Parteitag vor, aber der Vorschlag fand keine Resonanz. Stattdessen betonte Purra mehrmals, daß die Mentalität „wo es eine EU gibt, gibt es auch ein Problem“ ein Grund dafür sei, daß die PS-Wähler bei den EU-Wahlen nicht an die Urnen gehen würden.