© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/24 / 21. Juni 2024

In der Echokammer
Ukrainekrieg: Viel westliche Hilfe und ein Friedensprozeß, der noch lange keiner ist
Paul Leonhard

Ungewöhnlich klare Worte gab es auf der Friedenskonferenz am Wochenende in der Schweiz zu hören: „Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist“, sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris und gibt damit allen Recht, die seit mehr als zwei Jahren auf die Mitschuld der westlichen Demokratien am gegenwärtigen Krieg in der Ostukraine verweisen. Strategische Interessen haben 2013 zum Sturz des damaligen rußlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch und zur anschließenden Hinwendung des Landes zu EU und Nato geführt, was zur Besetzung der Krim durch russische Sondereinheiten führte.

Ziel des zweitägigen „Treffens auf Ebene der Staats- und Regierungschefs und -chefinnen“, so heißt es in der offiziellen Verlautbarung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), sei als Grundlage für einen Friedensprozeß „ein gemeinsames Verständnis für einen möglichen Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu entwickeln“. Dafür hatte die Schweiz, die die Veranstaltung auf Bitten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj organisiert hatte, Delegationen von mehr als 160 Ländern und Organisationen eingeladen, von denen letztlich 92 Staatsvertreter und acht von Organisationen erschienen waren. 

Beistand durch westliche Bodentruppen wird es nicht geben

Wichtige Länder wie Indien, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate entsandten lediglich diplomatische Vertreter, Brasilien nur einen Beobachter. China hatte abgesagt, da seine drei wichtigen Forderungen nicht erfüllt wurden, nämlich die Anerkennung sowohl durch Rußland als auch durch die Ukraine, die gleichberechtigte Teilnahme aller Parteien und eine faire Diskussion aller Friedenspläne. 

Was folgte, war eine ohnehin verwässerte Abschlußresolution, in der Rußland weder eindeutig als Aggressor verurteilt noch zum Rückzug aufgefordert wird. Inhaltlich ging es überdies nicht um „wirklich zentrale Friedensbedingungen – Territorium oder Entmilitarisierung oder Ähnliches“, so der Politologe Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck im WDR-Interview, sondern nachrangige Themen wie Nahrungsmittelsicherheit, nukleare Sicherheit, freie Schiffahrt und humanitäte Angelegenheiten. Es sei der symbolische Versuch Selenskyjs gewesen, die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren und Stärke zu demonstrieren, so Mangott: Man sollte das Ganze nicht „Friedenskonferenz, sondern Unterstützungskonferenz für die Ukraine“ nennen.

Daß die Konferenz nicht allein als „eine westliche Echokammer“ (Österreichs Kanzer Karl Nehammer) stagnierte, ist Putin zu verdanken, der die Gelegenheit nutzte, den Versammelten aus der Ferne noch einmal seine Bedingungen für ein sofortiges Ende der Kriegshandlungen zu übermitteln: Rückzug der ukrainischen Armee aus den (zum Teil noch umkämpften) Regionen Donezk, Lugansk, Cherson und Saporischschja, kein Nato-Beitritt, nichtnuklearer Status, Beschränkung der Streitkräfte sowie Schutz der russischsprachigen Bevölkerung.

Diesen russischen Maximalforderungen stehen die von Selenskiyj gegenüber: Räumung des gesamten besetzten Gebietes einschließlich der Krim und Entschädigung für die entstandenen Kriegsschäden. Während Putin in der Lage ist, seine Kriegsziele militärisch durchzusetzen, ist die Lage der Ukraine trotz westlicher Waffenhilfe hoffnungslos. Rußland werde seine Kriegsziele durch langsames Vorrücken erreichen, sagte Putin beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.

Überdies bleibt der Ukraine, solange der Krieg andauert, der Weg in die EU versperrt, auch wenn Ende Juni Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Denn als Mitglied könnte sie sofort militärischen Beistand nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrages einfordern.

Beistand durch Bodentruppen auf Ausbildungsmissionen würde schon jetzt gern Frankreichs Präsident Emmanuel Macron leisten, aber er müßte allein marschieren. Die europäischen Partner und selbst die USA bleiben auf Distanz. Moskau droht zudem, ausländische Militärausbilder in der Ukraine seien legitime Ziele und besäßen keine Immunität, so Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Längst haben die Russen auch gelernt, sich auf die vom Westen gelieferten Waffensysteme einzustellen. Als Reaktion auf diese wurden „Abwehrmaßnahmen plaziert, Kommando- und Logistikstruktur aufgelockert und redundante Versorgungswege angelegt“, so die Analyse des Historikers Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer: „Die Russen haben das Momentum. Das heißt, sie bestimmen, wo sie angreifen – und die Ukraine ist gezwungen, zu reagieren.“ Aus militärischer Sicht müßte die Ukraine massive Angriffe mit unterschiedlichen Waffensystemen kurz hintereinander ausführen, was zur notwendigen Übersättigung der russischen Abwehrmaßnahmen führen würde, so der Oberst. Das benötigte aber viele und hochwertige Wirkmittel, die Kiew aktuell nicht besitzt.

Aus Sicht vieler europäischen Steuerzahler erscheint die Ukraine als Faß ohne Boden. Knapp 500 Millionen Euro werde man für dringende Reparaturen im Energiesystem überweisen, kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerade an. Im Februar hatte die Weltbank eine Schätzung veröffentlicht, daß die Ukraine über die nächsten zehn Jahre fast 500 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau benötige. 

Die G7-Staaten haben sich am Donnerstag vergangener Woche auf die Auszahlung von rund 50 Milliarden US-Dollar an die Ukraine bis Jahresende geeinigt, wobei es Kiew überlassen bleibt, ob es dieses Geld für den Wiederaufbau oder den Kauf von Waffen einsetzt. Dabei handelt es sich um ein Darlehen, das durch die Zinsen eingefrorenen russischen Staatsbankvermögens von rund 260 Milliarden Euro finanziert wird. Auch wurde eine Allianz gebildet, mit Deutschland an der Spitze, die kleine und mittlere ukrainische Firmen mit sieben Milliarden Euro unterstützen will.

Allein die USA, als dominierende Macht innerhalb der Nato, haben seit Kriegsbeginn nach Angaben des Pentagons militärische Hilfe von mehr als 51 Milliarden Dollar bereitgestellt oder zugesagt. Allerdings könnte Washington im Fall eines Präsidentenwechsels sehr schnell eine Kehrtwende vollziehen und sich vollends den Problemen in der Pazifikregion zuwenden.

Europa stellt sich auf längere Kämpfe ein 

Europa stellt sich darauf ein, wie die jetzt beschlossene Auswahl einer US-Basis in Wiesbaden als künftige Koordinierungsstelle für die Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte zeigt. Überdies will Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg der Ukraine jährlich 40 Milliarden Euro überweisen. Die Beiträge der Mitgliedsstaaten sollten dabei nach dem Bruttoinlandsprodukt berechnet werden, was eine Belastung der USA von rund 20 Milliarden bedeuten würde.

 Diplomatisch wäre wohl im besten Fall ein Waffenstillstand verhandelbar. Vor einem Einfrieren des Konflikts warnt EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, weil das ein „Rezept für zukünftige Angriffskriege“ sei und fordert einen umfassenden, gerechten und nachhaltigen Frieden, der die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wiederherstellt. 

Es gehe Putin nicht um die Eliminierung des Staates Ukraine, erinnert Politologe Johannes Varwick, Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegenüber dem Deutschlandfunk, sondern „um die Zerstörung der Ukraine als von ihm so wahrgenommenes antirussisches Projekt“. Auch er plädiert für ein Einfrieren des derzeit immer mehr eskalierenden Konflikts, eine „dauerhafte politische Lösung“ sei erstmal nachrangig. Es werde um schmutzige Kompromisse wie Land gegen Frieden gehen. Bundeskanzler Olaf Scholz ist immerhin der Meinung, daß ein Frieden in der Ukraine nicht erreicht werden kann, ohne Rußland einzubeziehen.