Nun soll es losgehen, das Sommermärchen 2.0. Sportlich befindet sich die Nationalmannschaft in einer ähnlichen Krise wie vor der WM 2006, als das ganze Land in schwarzrotgoldenen Fahnen ertrank und am Ende neben dem unbefangenen Patriotismus der unerwartete dritte Platz heraussprang. Doch diesmal will eine solche Euphorie nicht aufkommen. Oder kennen Sie jemanden, der voll vom EM-Fieber erfaßt ist? Der DFB hat es einem auch nicht leicht gemacht, sich unbeschwert auf die Europameisterschaft im eigenen Land zu freuen. Zu sehr hat der Verband die Mannschaft mit schweren Themen belastet. Es soll die politischste EM aller Zeiten werden, haben uns die Funktionäre schon vor Monaten mit einer Mischung aus Stolz und Haltung erzählt: Veganes Essen an den Ständen in den Stadien, Rauchverbot und jede Menge LGBTQ-Propaganda.
Davon wollen mein erwachsener Sohn und ich uns den Spaß nicht kaputtmachen lassen. Wir werden die Spiele in großen Sportbars und Kneipen in Berlin verfolgen. Mein Großer hat eine richtige Schlachtenbummler-Tour durch die City-West ausgearbeitet. Und mit all den anderen Fußball-Verrückten springt hoffentlich auch der Funke der Begeisterung auf mich über. Bisher überwiegt die Skepsis. Denn ich merke, wie ich muslimische Gesten – egal, ob es sich sogar um den IS-Gruß gehandelt hat – sowie Sierra-Leone-Fahnen von Verteidiger Antonio Rüdiger werte und an Muster wie bei der furchtbaren Mundzuhalten-Katar-WM anknüpfe. Ganz primitiv wünsche ich mir, daß wir einfach den Fußball genießen und viele Siege feiern können, ohne daß wir davor, dabei und danach ständig belehrt werden, wie wir zu fühlen haben. Unverhofft kommt oft.