© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

JF-Intern
Wo Rosen sprießen
Martina Meckelein

Wer auf dem Berliner Hohenzollerndamm entlanghetzt, der will nur von A nach B gelangen. Der will nicht flanieren. Zum Verweilen lädt die breite vierspurige Straße mit ihren lieblosen, ungepflegten Mittelstreifen in Wilmersdorf nicht ein. Doch halt! Vor unserem Nachbarhaus gibt es einen klitzekleinen Grünstreifen, direkt an der Hauswand, vielleicht ist er gerade 20 Meter lang. Und wer, wie wir, die wir zur Mittagspause aus dem Haus gehen und uns draußen kurz die Beine vertreten, genau hinschaut, der kann folgendes beobachten:

Die längste Zeit des Jahres wuchert auf dem schmalen Grünstreifen Efeu. Aber jetzt, im Spätfrühling, sprießen Rosen. Rosafarben, nicht gefüllt. Weit und breit an der vierspurigen Straße ist auf Hunderten von Metern keine einzige weitere Blüte zu sehen. Doch hier, wenn die Sonne scheint, da wackeln bepelzte dicke Ärschleins vor Wonne in den Blüten, die sich unter der Last von Hummeln verneigen. Aber sie sind nicht die einzigen Besucher. Immer wieder bleiben Fußgänger plötzlich stehen, schauen und beugen sich zu den Rosen hinab. Nicht um sie abzubrechen, sondern um an ihnen zu schnuppern. Ganz vorsichtig, so, als seien die Blumen besonders zerbrechlich. Eine Aufwartung der besonderen Art, ein Verneigen vor der Schönheit der Natur – mitten in dieser hektischen Straße, dieser hektischen Stadt.

Merke: Zum Innehalten und Durchatmen bedarf es manchmal nur einer kleinen Blüte. Ein herzlicher Gruß vom Hohenzollerndamm.