© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

Perspektiven für zeithistorische Globalisierungsforschung
Desiderat Dekolonisierung

Die Hinwendung der Zeitgeschichte zum Globalen ist bei deutschen Historikern spät erfolgt, weil sie sich lange mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus beschäftigten. Die neue Abteilung „Globalisierungen in einer geteilten Welt“, die 2023 im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschungen eingerichtet wurde, weicht nun davon ab. Ihr primärer Untersuchungsgegenstand sollte nach Ansicht des Historikers Martin Rempe (Konstanz) das in den 1960ern „epochemachende, Neuzeit und Zeitgeschichte trennende Ereignis“ der Dekolonisierung sein (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2/2024). Paradoxerweise begann die Globalisierung damals mit der weltweiten Durchsetzung des Nationalstaats als einzig verbliebener Organisationsform, die damit das eigentliche Proprium zeitgeschichtlicher Globalisierungsforschung sei. Denn zwischen 1950 und 1991 hat sich die Anzahl der Nationalstaaten von 80 auf rund 170 mehr als verdoppelt. Die globale Durchsetzung des Nationalstaats verlief in zwei Wellen, die die europäisch-amerikanisch dominierte Weltordnung fundamental transformierten. Im Zuge der ersten Dekolonisierung lag der Schwerpunkt auf Afrika und Asien, bei der zweiten, am Ende des Kalten Krieges, in Osteuropa und der implodierten Sowjetunion. Beide Prozesse stellten Forschungsdesiderate dar. (ob) 

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