© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

„So wird es nicht reichen“
ormdebatte: Politik, Kontrollgremien, private Konkurrenz und Justiz setzen dem ÖRR zu
Gil Barkei / Henning Hoffgaard

Momentan prasselt es von allen Seiten auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) ein. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erneuern die Mitglieder des Zukunftsrats Julia Jäkel und Roger de Weck ihre Reformforderungen gegenüber ARD und ZDF – und verweisen auf die oftmals vorhandenen „Neunfachstrukturen“. Er sehe „noch knirschende Türen und zähneknirschende Halbreformer. So wird es nicht reichen“, stellt der ehemalige Chef des Schweizer Fernsehens de Weck ernüchtert fest und ergänzt: „Die ARD ist die größte Arbeitsgemeinschaft der Welt, mit einem Milliardenbudget und keiner Strategie, keiner Gesamtleitung, keinem Gremium, das die Verantwortung fürs Ganze trägt. Das darf nicht sein. Zudem herrscht Intransparenz. Jede Landesrundfunkanstalt hat ihren Freiraum, den sie vor den Blicken der anderen Anstalten schützt.“

Die frühere Gruner+Jahr-Chefin Jäkel fügt hinzu: „Wer mit Reformen zu spät kommt oder an der Oberfläche bleibt, der bestraft unsere Gesellschaft.“ Sie macht das Chaos an einem simplen Beispiel deutlich: „Wir haben versucht herauszufinden, was die Rundfunkorchester kosten. Eigentlich eine triviale Frage. Doch nicht einmal die KEF, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, weiß es genau.“ Daß das Bundesverfassungsgericht bei der letzten Beitragsrunde „einen Landtag übersteuert“ habe, sei „keine Zukunftslösung“. 

Doch genau darauf läuft es bei der Debatte um Verschlankungen und Beitragserhöhungen erneut hinaus. In einem Appell fordern mehr als 30 Mitglieder der ÖRR-Aufsichtsräte von den Ministerpräsidenten, die KEF-Empfehlung einer 58-Cent-Anhebung ab dem 1. Januar 2025 „zeitgerecht umzusetzen“. Andernfalls sei die Umsetzung des Programmauftrags gefährdet. „In unseren Aufsichtsfunktionen sehen wir mit Sorge, daß das durch das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten vorgeprägte Verfahren zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten derzeit nicht eingehalten wird“, heißt es in dem Anfang Juni veröffentlichten Schreiben der Gremienallianz.

Zuvor hatte Sachsen-Anhalts Medienminister Rainer Robra in einem FAZ-Gastbeitrag das Fest-setzungsverfahren des Rundfunkbeitrags als „dysfunktional“ kritisiert: „Viele Abgeordnete wehrten sich dagegen, einem zwischen den Ministerpräsidenten ‘ausgehandelten’ Staatsvertrag zustimmen zu müssen. Der Hinweis, alles andere als Ja sei verfassungswidrig, weil das vom Verfassungsgericht entwickelte Verfahren keine Alternative zur Zustimmung zulasse, wurde nicht gerne gehört; man lasse sich als Abgeordneter nicht auf die Rolle eines ‘Notars der KEF’ reduzieren.“ Robra fordert von den Richtern in Karlsruhe „eine Alternative“ zur klassischen Ratifikation.

Die sich zuspitzende Diskussion wird durch zunehmende Kritik am ÖRR aus unterschiedlichen Bereichen befeuert. So kritisierte der Journalist Jochen Zenthöfer kürzlich in der FAZ den „Beck’schen Kommentar zum Rundfunkrecht“, ein juristisches Standardwerk. „Fast alle“ Autoren hätten eine Nähe zur ARD oder zum Beitragsservice.

Gleichzeitig bemängeln die Landesrechnungshöfe im NDR-Sendegebiet, die Anstalt zahle zu viel Geld für die Formate von ARD-Aktuell und verschleiere sogar die tatsächlichen Kosten. In den Jahren 2019 bis 2021 seien laut einer Prüfung Personalaufwendungen von mehr als acht Millionen Euro für „Tagesschau“ und „tagesschau24“ gebucht worden, ohne diese Kosten in der Jahresabrechnung auf alle ARD-Anstalten anteilig umzulegen.

Das Gericht prüft nun die Vielfalt von ARD und ZDF

In einem SZ-Gastbeitrag attackiert Burda-Vorstand und Chef des Medienverbands der Freien Presse (MVFP), Philipp Welte, außerdem die ausufernden Netzaktivitäten des ÖRR: „Dank etwa 9 Milliarden Euro Rundfunkbeiträgen und rund 1,2 Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen völlig befreit von finanziellen Sorgen, stoßen die öffentlich-rechtlichen Sender systematisch und offensiv mit Hunderten Kanälen und Angeboten in die digitalen Märkte vor, in denen sich der Journalismus der Verlage seine Zukunft marktwirtschaftlich erarbeiten muß.“ Welte fordert die Ministerpräsidenten zum Handeln auf: „Wenn die, die in den Ländern Verantwortung tragen, die staatlich privilegierten öffentlich-rechtlichen Angebote nicht in die Schranken weisen, legen sie Hand an die Zukunft der freien Presse.“ Kurz darauf verlangt der MVFP in einem „Memorandum zur Lage der freien Presse“, die Politik müsse die „zunehmend gefährliche Wettbewerbsverzerrung“ durch die „kostenlosen öffentlich-rechtlichen Angebote“ auf den digitalen Kanälen „effektiv begrenzen“.

Politik, Kontrollinstanzen, private Konkurrenz, einzelne Journalistenkollegen, die Front gegen den ÖRR ist zwar weder geeint, noch stellt sie das Rundfunksystem grundsätzlich in Frage, aber sie wächst – auch bei der Rechtsprechung, wie ein bemerkenswerter Fall zeigt. Im Juli 2023 schmettert der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Klage einer Frau aus Rosenheim ab, die sich gegen die Zahlung des Rundfunkbeitrages wehrte. Ihr Argument gegen ARD, ZDF und Deutschlandradio: Einseitigkeit und fehlende Vielfalt. Zudem monierte sie, daß die Abgabe eigentlich eine Steuer sei und wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig sei. 

Bei der Klage ging es um 63,53 Euro Zwangsgebühren, die die Klägerin im Zeitraum vom Oktober 2021 bis März 2022 nicht zahlte. Das Gericht folgte ihr nicht und verwies lapidar auf die vermeintlich pluralistisch besetzten Rundfunkgremien, die schon für genug Meinungsvielfalt sorgen würden. Die damit gemeinten Rundfunkräte stehen allerdings selbst seit Jahren in der Kritik: Wenn nicht Politiker selbst darin sitzen, dann politiknahe Personen. Etwa Gewerkschafter, die dann doch das SPD-Parteibuch besitzen. Dazu oftmals linke Verbände oder – wie jüngst bekannt wurde – Scharia-Fans wie Khola Maryam Hübsch, die im Hessischen Rundfunkrat die muslimischen Glaubensgemeinschaften vertritt, allerdings selbst Stammgast in den Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. 

Zudem verwehrte das Gericht auch noch die sonst übliche Revision, also die Möglichkeit, das Verfahren auf formale Fehler zu prüfen. Doch die Rosenheimerin ließ nicht locker. Sie legte gegen die Entscheidung Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein und hatte damit Erfolg, wie ein vergangene Woche veröffentlichtes Urteil des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts zeigt. Der Beschluß selbst ist auf den 23. Mai datiert – und hat es in sich. „Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 17. Juli 2023 wird aufgehoben. Die Revision wird zugelassen“, heißt es dort. Denn: Die Rechtssache habe eine „grundsätzliche Bedeutung“. Das Revisionsverfahren könne, so die Richter weiter, „Gelegenheit zur Klärung der Frage geben“, ob gegen die Zahlung der Rundfunkgebühren geltend gemacht werden könne, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihren Auftrag, ein der „Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten“, verfehlten. Heißt: Es muß geprüft werden, ob mittlerweile rund 40 Fernsehsender und mehr als 70 Radiosender des ÖRR dem Auftrag überhaupt nachkommen.

Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 2021 zuletzt entschieden, daß einzelne Bundesländer – damals Sachsen-Anhalt – nicht eigenständig über die Finanzierung der Sender entscheiden könnten, dabei aber auch die Meßlatte an die Sender hoch gelegt. „Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, daß das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im wesentlichen entspricht, daß der Rundfunk nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird und daß die in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtprogrammangebot zu Wort kommen können“, schrieben die Richter. Nun muß der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die doch erlaubte Revision begründen, bevor sich die Richter in Leipzig dann endgültig mit dem Fall beschäftigen können.