Luba, eine russische Liebe, die sich leider nicht erfüllte, weil ich zu verkopft war, ist nur noch eine Erinnerung, wie vom Erdboden verschluckt. Geblieben ist nur ihr resignierendes Diktum, das mir sofort präsent ist, als ich nach zwei Buchtiteln greife: „Rußland ist wie ein großer Sumpf. Man muß es einfach in Ruhe lassen.“ Um so mehr reizt die „Übersetzungsarbeit“, sprich die Literatur: Einmal die „Enzyklopädie der russischen Seele“, ein Roman von Viktor Jerofejew und die Tagebuchaufzeichnungen aus der Ukraine „Im Schatten des Krieges“ von Christoph Brumme, von dem auch das Reisebuch „Auf einem blauen Elefanten“ (2009) stammt, Brummes persönliche Friedens- oder vielmehr Freiheitsfahrt „8.353 Kilometer mit dem Fahrrad von Berlin an die Wolga und zurück“. Dieser unglaubliche Titel verspricht – spätestens seit dem 24. Februar 2022 – gleich eine doppelte Zeitreise (und ist entsprechend nur noch antiquarisch verfügbar).
Epischen Raum beansprucht die russische Seele bei Viktor Jerofejew, erhellt von dialektischem Deus.
Auch das konzise Kriegstagebuch schildert die differenten Mentalitäten im Osten, im Vorwort heißt es: „Ein Unterschied zwischen Russen und Ukrainern fiel mir aber schnell auf. Unter den Russen grassierte politische Schizophrenie. Einerseits redeten sie gern von der Größe und Stärke Rußlands. (…). Andererseits verfluchten sie ihr Land, ihre Regierung, die Korruption, die Schlamperei und Disziplinlosigkeit, den Sadismus der Behörden, die Gefährlichkeit der Technik, wenn ein Schiff auf der Wolga brannte. Die ‘russische Seele’ bestand aus Größenwahn, Selbsthaß und Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber dem Westen. Die Idee, daß man die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern könne, wurde geradezu als Verhöhnung empfunden. Rußland müsse mit Hilfe von Angst regiert werden, damit die Kriminellen und Verbrecher nicht an die Macht kämen, so lautete ein Axiom. Unter Putin wurde die Schwerstkriminalität verstaatlicht“.
Epischen Raum beansprucht die russische Seele bei Jerofejew. Auch hier zieht den Leser der lakonische, oft sarkastische Duktus der Lektüre sogleich hinein – in die Sumpfblüte der russischen Erde, erhellt von dialelektischem Deus: „Der Verlust des Materialismus führte zur Entdeckung des Materiellen“, verdunkelt von der Resignation: „Der Fehler sowohl der Westler als auch der Slawophilen besteht darin, daß sie Rußland Glück wünschen.“
Christoph Brumme: Im Schatten des Krieges. Hirzel Verlag, Stuttgart 2022, kartoniert,112 Seiten, 17 Euro
Viktor Jerofejew: Enzyklopädie der russischen Seele. Matthes & Seitz, Berlin 2021, gebunden, 297 Seiten, 25 Euro