© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

CD-Kritik: Louise Bertin, Christophe Rousset
Faustarbeiterinnen
Jens Knorr

Wer sich an Gounods Opéra „Faust“ satt gehört hat, der kommt bei Louise Bertins „Fausto“ an die richtige Adresse. Louise-Angélique Bertin (1805–1877) nahm sich ab 1825, also noch zu Lebzeiten Goethes, dessen Hauptwerk vor. Ihre Oper auf ein eigenes Libretto, die erste der „Faust“-Opern überhaupt, kam 1831 am Pariser Théâtre-Italien zur erfolgreichen Uraufführung, doch wurde das Theater nach nur drei Vorstellungen geschlossen.

Bertins „Fausto“ ist weit mehr als nur Talentprobe einer Komponistin, die nach der Uraufführung ihrer zweiten Oper „La Esmeralda“, 1836, einer Intrige zum Opfer fiel und daraufhin ihre öffentliche Karriere aufgegeben hat. Die Partitur des „Fausto“, einer Opéra semi-seria, also einer ebenso ernsten wie komischen Oper, bietet Rezitative mit Continuo-Begleitung neben massiv instrumentierten Abschnitten, musikalischen Allgemeinplatz und romantische Füllmasse neben vorwärtstreibenden Ensembles und kühn konzipierten Finali – eine Oper der Zeit, jedoch keineswegs unter dem Niveau der Zeit. 

Innerhalb der Collection Opéra français des Centre de musique romantique française mit Sitz in Venedig hat das Orchester Les Talens Lyriques, der Flemish Radio Choir und ein faszinierendes Solistenensemble unter Christophe Rousset die Partitur nach 190 Jahren ins Leben zurückgeholt, alle aufeinander hörend und reagierend, hochgespannt und punktgenau agierend: realistisches Musiktheater auf der Klangbühne. Sie klingt endlich so, wie sie Bertin gerne gehört hätte, aber nie gehört hat.

Louise Bertin: Fausto 2CDs im Buch Bru Zane 2024, https://bru-zane.com, www.lestalenslyriques.com