© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

Die moderne Welt lehnte er ab
Erinnerungsblatt: Zum fünfzigsten Todestag des italienischen Kulturphilosophen Julius Evola
Werner Olles

Keine Idee ist so absurd wie die Idee des Fortschritts.“ Dieser Satz des italienischen Kulturphilosophen Julius Evola aus seinem Hauptwerk „Revolte gegen die moderne Welt“ (1934) mag in seiner zugespitzten Absolutheit töricht sein, charakterisiert aber treffend die Geisteshaltung seines Schöpfers. Für den Kulturpessimisten und Esoteriker stand stets das Transzendente im Vordergrund seines Denkens, das Überzeitliche, jene Prinzipien, die nach seinem Verständnis unsere Welt ausmachen, der Seinsgrund.

Dabei ist Evolas geschichtsphilosophisch-esoterisches Vermächtnis – er starb vor fünfzig Jahren – zwar auf den kontemplativen Teil einer Welt-entsagung, mönchischen Weltflucht oder Askese angelegt. Doch gibt es auch einen zweiten Pol in seinem Denken: den eher aktivistischen in den 1930er und 1940er Jahren, an den in Italien und Deutschland Parteien und Bewegungen anknüpften, um hier Sinnstiftung zu finden, die an das japanische Samurai-Ethos erinnerten. Doch speziell im NS-Deutschland sah man sich plötzlich mit philosophischen Fragen konfrontiert, die vor allem von dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg als „inkohärent“ abgelehnt wurden. Obgleich kritisch gegenüber verschiedenen Elementen des Faschismus und Nationalsozialismus, die seinem aristokratischen Geist und seiner Bewunderung der sakralen europäischen Antike widersprachen, hielt Evola diese Bewegungen für eine der Zeit angemessene Gegenkraft zum Materialismus, unter dem er Amerikanismus und Bolschewismus subsumierte, die dabei waren, sich die Welt aufzuteilen.

Spiritueller Niedergang der westlichen Welt

Anders als in den romanischen Ländern und in Rußland durch den orthodoxen Philosophen und „Eurasier“ Alexander Dugin, ist Julius Evolas Rezeption in Deutschland eher dürftig. Die erste Evola-Bibliographie hierzulande stammt von Karlheinz Weißmann und ist dem Werk „Menschen inmitten von Ruinen“ (Hohenrain-Verlag, 1991) angehängt. Die Distanz konservativer und rechter Intellektueller gegenüber diesem Denker hängt möglicherweise mit Evolas Ablehnung einer bürgerlichen wie auch populistischen und gemäßigten „Rechten“ zusammen, die er ebenso wie den „Krämerseelen-Nationalismus“ in der ihm eigenen Kompromißlosigkeit als „wertlos“ bezeichnete. Nur eine systemüberwindende Rechte, die den Willen hat, über den Utilitarismus und Materialismus hinauszukommen und den revolutionären Geist der Tradition in sich trägt, besaß für ihn eine gewisse Legitimität.

So geht seine metaphysische Orientierung sehr weit zurück zum Urmythos, zum verlorenen Hyperborea, zur Transzendenz und der Suche nach dem Absoluten, um im Sinne des französischen Metaphysikers und esoterischen Schriftstellers René Guénon (1886–1951) die an das hinduistische „Kali Yuga“, das „dunkle Zeitalter“, gebundenen Ausartungen der bürgerlichen Zivilisation mit ihren melodramatischen Tagesroutinen und Verfälschungen der Tradition zu zerschlagen. Ähnlich wie Guénon, der später zum Islam konvertierte, sah Evola in der Vernichtung des Templer-Ordens und in dem Westfälischen Frieden den spirituellen Niedergang der westlichen Welt und die Bestätigung seines apokalyptischen Weltbildes. Wie die Repräsentanten der Konservativen Revolution um Spengler, Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung, Ernst Jünger oder Gottfried Benn, mit denen er zeitweilig in Kontakt stand, plädierte er für eine Traditionswelt, für Ausnahme, Elitismus und Rang und „das Bild des frühen, hohen, des transzendenten, des Traditionsmenschen, des Menschen, der die Überlieferung trägt“. (Gottfried Benn: Sein und Werden: Zu Julius Evola, „Revolte gegen die moderne Welt“, in „Gesammelte Werke“, Bd. 4, 1995).

Das explizite Denken Evolas und der implizite Sinn seiner Botschaft offenbaren eine maßgebliche Persönlichkeit bei der Propagierung des Integralen Traditionalismus, der Ablehnung der modernen Welt und ihrer Philosophien zugunsten einer Rückbesinnung auf die Spiritualität und Lebensweise der Vergangenheit. In seinen Augen verursacht die Moderne das Verrotten und den Niedergang durch den Verlust der Bindung an die eigenen Wurzeln; jegliche natürlichen Unterschiede zwischen den Kulturen, Zivilisationen, Ethnien, Klassen und Ständen würden negiert.

Geboren wurde Giulio Cesare Andrea Evola am 19. Mai 1898 als Sohn einer aristokratischen sizilianischen Familie in Rom. Als junger Mann betätigte er sich zunächst im Umfeld des Dadaismus, später im Futurismus. Doch Malerei und Poesie befriedigten ihn nicht, er verlor die Lust am Modernismus mit seinen Abartigkeiten und Ausschweifungen und wandte sich der Metaphysik, dem Hinduismus, Buddhismus, der Mystik, Hermetik und dem Okkulten zu. Über diese Themen publizierte er zeit seines Lebens und entwarf in seinen über 30 Büchern und Hunderten Artikeln einen Integralen Traditionalismus und dessen ästhetische Mobilmachung.

Seine grundsätzliche „Apoliteia“ hinderte ihn jedoch nicht, zeitweilig Partei zu ergreifen für den klassischen römischen Faschismus. Doch als der „Duce“ versuchte, ihn vor seinen Karren zu spannen, lernte er den unangepaßten Charakter Evolas kennen. Ende der 1920er Jahre kam es zum Verbot eines Magazins, für das Evola schrieb, und bei einer persönlichen Begegnung mit Mussolini rügte der Philosoph die Modernität des Faschismus und dessen Pakt mit der Kirche und der Bourgeoisie.

Junge Neofaschisten fühlten sich von ihm inspiriert

Auch im NS-Staat gingen die Meinungen über Evola auseinander. Argwöhnisch beobachtet von Alfred Rosenberg kam 1938 durch Vermittlung von Himmler-Berater Weisthor im Rahmen der Deutsch-Italienischen Gesellschaft eine Vortragsreihe zustande, in der Evola über das „Mysterium des nordischen Grals“, die „Arische Lehre des heiligen Kampfes“ und „Die Waffen des geheimen Krieges“ referierte. Sein esoterischer Rassebegriff und magischer Idealismus sowie seine ghibellinische Reichsvorstellung stießen jedoch auf Ablehnung. Trotzdem kam es 1943 zur offiziellen Rekrutierung des Barons in die SS. Im gleichen Jahr wurde er durch einen Bombenangriff der Alliierten schwer verletzt und war seitdem querschnittsgelähmt. Schicksal eines zerschmetterten Helden am Horizont einer antiken Tragödie, der es vorzog den Luftschutzkeller zu ignorieren.

Nach dem Krieg publizierte Evola in verschiedenen Zeitschriften der italienischen und europäischen Rechten – in Deutschland beispielsweise in Nation Europa – politische Essays, in denen er die progressiven Scheinwerte des Liberalismus, der Demokratie, des Materialismus und der Dekadenz scharf kritisierte. Zahlreiche rechtsgerichtete italienische Intellektuelle wurden durch sein Denken, das scharfe Profil seiner Logik und die kristallene Brillanz seines Stils inspiriert.

In den 1970er Jahren befruchtete er mit seinen Werken „Heidnischer Imperialismus“ „Revolte gegen die moderne Welt“, „Menschen inmitten von Ruinen“ und „Den Tiger reiten“ eine ganze Generation junger Neofaschisten des Movimento Sociale Italiano (MSI), die auf der Suche nach Sinnstiftung und den eigenen spirituellen Fähigkeiten waren, um den Belanglosigkeiten der liberalen Gesellschaft, dem Transatlantismus und den parlamentarischen Illusionen ihrer Führung zu entrinnen. Während der MSI-Vorsitzende Giorgio Almirante Evola als „Marcuse von rechts“ bezeichnete, gründete Pino Rauti vom radikalen Flügel des MSI das Studienzentrum „Ordine Nuovo“ und ein gleichnamiges Magazin, das den Untertitel „Monatszeitschrift für revolutionäre Politik“ trug, für das Evola ein gutes Dutzend Beiträge schrieb.

Im Sinne der Querfrontstrategie versuchten Rauti und der „Nazi-Maoist“ Franco Freda, die Radikalen von links und rechts gegen das System zu vereinen und die Jugendfront des MSI mit evolianischem Gedankengut auf ein höheres geistiges Niveau und Bewußtsein zu heben. Den Übergang zu terroristischen Aktivitäten von „Ordine Nuovo“, „Avantguardia Nazionale“, „Ordine Nero“ und „Nuclei Armati Revolutionario“ in den „bleiernen Jahren“ Italiens hatten weder Rauti noch Julius Evola, der am 11. Juni 1974 im Alter von 76 Jahren in Rom verstarb, voraussehen können.


Julius Evola: Revolte gegen die Moderne Welt. Adoria-Verlag, Leisnig 2019 (Neuauf-lage), gebunden, 424 Seiten, 29 Euro

Julius Evola: Menschen inmitten von Ruinen. Adoria-Verlag, Leisnig 2019 (Neuauflage), gebunden, 406 Seiten, 22,90 Euro


Bild: Julius Evola (1898–1974), Zeichnung von Dariush Radpour: Integraler Traditionalismus