Die Deutsche Börse AG ist Dax-Star: Die Nettoerlöse lagen 2023 bei 5,1 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen kletterte auf 2,9 Milliarden Euro. Der Aktienwert verdoppelte sich innerhalb von sechs Jahren. Deswegen ist Börsenchef Theodor Weimer mit einer Jahresvergütung von 10,6 Millionen Euro – nach Ola Källenius (Mercedes) und vor Belén Garijo López (Merck) – einer der bestbezahlten Angestellten in Deutschland.
Doch der Konzern gehört zu 60 Prozent angloamerikanischen Anlegern. Viele von denen verlangen die Propagierung von Nachhaltigkeitszielen (Environmental, Social and Corporate Governance/ESG). Auch in der EU drohen ESG-Richtlinien. Deswegen erklärte Weimer 2021 untertänig: „Wir als Deutsche Börse sind nicht nur bestrebt, die nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft durch die stetige Weiterentwicklung unserer ESG-Angebote zu unterstützen. Das Erreichen der Netto-Klimaneutralität bis 2025 – 25 Jahre vor dem offiziellen Ziel der EU – zeigt, daß Nachhaltigkeit auch Teil unserer Unternehmens-DNA ist.“
Die Klimapolitik hat die Autoindustrie kaputtgemacht
Doch im Oktober übergibt der 64jährige Franke die Börsenführung an den Österreicher Stephan Leithner – und daher kann Weimer nun auch in der Öffentlichkeit klare Worte wagen. Am 17. April nutze er dazu eine Rede beim Wirtschaftsbeirat Bayern – dem „Sprachrohr der gesamtwirtschaftlichen Vernunft“ am Ohr der CSU. Dessen Präsidentin Angelika Niebler, eine Europaabgeordnete aus Oberbayern, warnte schon 2019 bei einem Treffen in Bad Reichenhall vor dem „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Klimaschutz muß mit der Industrie und ihrer Innovationskraft erfolgen und nicht gegen sie.“
Dennoch wurde der „Green Deal“ 2021 mit Unionsstimmen im EU-Parlament abgenickt. Weimer muß keine Rücksichten mehr nehmen: „Ich habe inzwischen mein 18. Treffen mit unserem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck hinter mir – und ich kann Ihnen sagen: ‘Es ist eine schiere Katastrophe’“, sagte Weimer in seiner 18-Minuten-Rede im Münchner Hotel „Bayerischer Hof“. Der Grünen-Politiker habe „super zugehört“, er habe „auch ein paar Dinge richtig gemacht, aber inzwischen kommen die Fundamentalisten eben immer mehr durch“, so der Konzernchef. Die Ampel-Politik sei eine „schiere Katastrophe“, die Migrationspolitik sei „vollkommen falsch“ und die Klimapolitik habe die Autoindustrie kaputtgemacht, sie werde Deutschland „zum Entwicklungsland“ machen – das sei „Wahnsinn“. Das Urteil internationaler Investoren falle desaströs aus: „So schlecht wie jetzt war unser Ansehen in der Welt noch nie.“
Doch an Weimers Dienstwagen-Beispiel (in Deutschland gibt es nur einen 7er BMW-Sechszylinder als Hybrid; in den USA den Achtzylinder ohne Hybrid) zeigt sich, daß nicht nur die Regierung und ihre Wähler schuld an der Misere sind, sondern auch die Dax-Chefs. Der E-Auto-Wahn und die Dienstwagenregelungen wurden zwar unter Unionsführung beschlossen und von der Ampel verschärft, aber daß bei der Allianz, Bayer, Mercedes oder dem RWE-Konzern nur noch reine Elektrofahrzeuge als Dienstwagen bestellbar sind, hat nichts mit Habeck oder Merkel zu tun.
Die „Fundamentalisten“ sitzen in den Vorstands-etagen und bei AG-Hauptversammlungen herrum. Die Autoindustrie wurde nicht nur von EU-CO₂-Vorgaben, sondern auch von Mercedes- und VW-Managern und einflußreichen Konzerneignern „kaputtgemacht“. Hans-Werner Sinn, der vor Weimer in seiner Wirtschaftsbeiratsrede die Deindustrialisierung Deutschlands, ESG und das EU-Bürokratiemonster anprangerte, hat allerdings schon in seiner Zeit als Ifo-Präsident (1999 bis 2016) klare Worte nicht gescheut: 2008 plädierte der VWL-Professor in seinem Buch „Das grüne Paradoxon“ für eine „illusionsfreie Klimapolitik“. 2009 rechnete er mit dem „Kasino-Kapitalismus“ ab, und 2012 warnte er vor der „Target-Falle“ im Euro-System. Und das alles für eine vergleichsweise schmale Beamtenbesoldung.
Hans-Werner Sinn und Theodor Weimer am 17. April beim Wirtschaftsbeirat Bayern:www.youtube.com/watch?v=trYO5KtLq0Q