© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

Opec-Entscheidung drückt Ölpreis temporär unter 80-Dollar-Marke
Robuste globale Nachfrage
Thomas ­Kirchner

Joe Biden steht vor einem Dilemma: Einerseits braucht er im Wahlkampf niedrige Energiepreise, wozu er die strategische Ölreserve leerte, um die Zwischenwahlen 2022 zu gewinnen, nachdem Saudi-Arabien seinem Betteln um niedrigere Ölpreise eine Absage erteilt hatte. Die Sanktionen gegen das Ölland Venezuela wurden für einige Monate gelockert. Andererseits blockiert der US-Präsident die heimische Förderung sowie Flüssiggasexporte nach Deutschland, um die parteieigene Klimalobby zu besänftigen, die höhere Energiepreise fordert. Nur fünf Monate vor den Wahlen haben die Demokraten eine neue Flanke eröffnet: Neun Demokraten im Repräsentantenhaus werfen Chevron und Exxon vor, in einer Verschwörung mit dem Ölkartell Opec die Energiepreise künstlich hoch zu halten. Angeblicher Beweis: die Rekordgewinne der Konzerne 2023.

Derzeit gibt es in der Tat eine Diskrepanz zwischen dem Rohölpreis, der sinkt, und den daraus hergestellten Destillaten wie Benzin, Diesel und Kerosin, die dem Rohölpreis nicht so recht folgen. Ursache dafür sind fehlende Raffineriekapazitäten. Seit Jahrzehnten wurden keine neuen Raffinerien in den USA gebaut. Angesichts strenger Umweltvorschriften, potentieller Elektrifizierung des Verkehrs sowie wegen grüner Finanzierungsrichtlinen lassen sich auch keine neuen bauen, denn man braucht eine 30jährige Laufzeit, damit sich die Raffinerie-Investition rechnet. Anderswo werden trotzdem fleißig Raffinerien gebaut.

Das Opec-Mitglied Nigeria mußte mangels Raffinerien sogar Kraftstoff importieren. Eine vom Zement-Milliardär Aliko Dangote für 18,5 Milliarden Dollar gebaute Raffinerie produziert nun aber Diesel und Kerosin in dem 230-Millionen-Einwohner-Land. Die Schwäche des Rohölpreises als Reaktion auf die „Opec+“-Konferenz Anfang Juni liegt in erster Linie an Ende des Monats auslaufenden freiwilligen Produktionsbeschränkungen, die 2,1 Prozent der Nachfrage betreffen und nicht verlängert wurden. Weitere 3,6 Prozent an Beschränkungen laufen bis 2025 weiter. In Verbindung mit pessimistischen Gesamteinschätzungen der Weltwirtschaftslage und hohen Leerverkäufen ließ dies die europäische Rohölsorte Brent um fast zehn Prozent auf bis zu 77,50 Dollar pro Barrel fallen.

Doch wahrscheinlich handelt es sich nur um eine kurzfristige Verkaufswelle, und Brent könnte schon bald wieder über 85 Dollar klettern. Rußland beispielsweise stimmte künftigen Förderungskürzungen zu, die Überproduktion aus dem ersten Halbjahr kompensieren sollen. Und die tatsächliche Ausweitung der Förderung der anderen Mitgliedsstaaten könnte die Quoten unterschreiten. In jedem Fall bleibt die Nachfrage robust. Die Opec unterscheidet zwei Märkte: westlich des Suez stagniert die Nachfrage nach Öl langfristig, östlich des Suez boomt sie. Auch wenn China viele E-Autos auf die Straße bringt: Das ändert nur die Wachstumsrate, nicht den Trend. Auch kurzfristig sieht die Nachfrage eher positiv aus. Im Sommer planen 82 Prozent der Amerikaner eine Urlaubsreise, meist mit dem Auto. Der Durchschnittsverbrauch ihrer Autoflotte liegt bei elf Litern pro 100 Kilometern, insgesamt gibt es 286 Millionen Fahrzeuge. Die globale Luftfahrtbranche rechnet mit 4,7 Milliarden Passagieren – mehr als vor Corona (4,5 Milliarden). Zwar gibt es noch weniger Flüge als vor Covid, doch die geflogenen Distanzen sind länger. Die Ölkäufer täten gut daran, von der aktuellen Schwäche zu profitieren und ihre Tanks zu füllen.