© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

Und plötzlich ist er wieder da
Großbritannien: Hatte Mr. Brexit, Nigel Farage, es lange verneint, wieder in die Politik einzusteigen, mischt er sie nun um so doller auf
Felix Hagen

Er ist wieder da! Nigel Farage, der britische Politiker, der als „Mr. Brexit“ maßgeblich für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU mitverantwortlich ist, meldet sich rechtzeitig zu den anstehenden Unterhauswahlen in Großbritannien mit einem Paukenschlag auf die politische Bühne zurück. Der von seinen Anhängern gefeierte und von seinen Kritikern für seine scharfen, aber humorvollen Reden gefürchtete Politiker soll die relativ junge Partei Reform UK zu einem starken Ergebnis führen.

 Eine große Herausforderung, denn das Wahlsystem des Königreichs begünstigt traditionell die beiden großen Parteien, Konservative (Tories) und die Arbeiterpartei (Labour). Kleinere Parteien wie die FDP-nahen Liberaldemokraten oder die Grünen scheitern an einem Wahlrecht, das viele Stimmen unter den Tisch fallen läßt.

 Doch jüngste Umfragen auf der Insel zeigen, daß das Duopol vielleicht an sein Ende gekommen ist. Zwar führt Labour mit großem Abstand, um den zweiten Platz müssen sich die Konservativen jedoch mit Reform UK streiten. Lediglich zwei Prozentpunkte trennen die beiden Parteien, ein Novum in der britischen Nachkriegsgeschichte. Das liegt auch an einem für Reform UK äußerst vorteilhaften Zusammenspiel zweier Gegner. 

Selbst eine Milchshake-Attacke nimmt Farage mit Humor

Rishi Sunak, der derzeitige Premierminister, stolpert in seinem Amt von einem Fettnäpfchen ins nächste. Vielen Engländern aus dem Norden des Landes, aus den ehemaligen Bergbauregionen oder den Industriestädten, etwa aus Manchester oder Liverpool, gilt der schwerreiche Sunak als Prototyp des reichen, abgehoben „Southeners“ – also des Südengländers. Daß Sunak darüber hinaus in der Vergangenheit die indische Herkunft seiner Eltern betonte, dürfte ebenfalls keine Sympathiepunkte in der Region gebracht haben, die mehrfach von Vergewaltigungsskandalen erschüttert wurde, deren Täter in aller Regel Männer mit Migrationshintergrund waren. Konnte Boris Johnson 2019 noch die sogenannte „Rote Wand“ in diesen Regionen zugunsten der Konservativen drehen, dürften weite Teile des Nordens in diesem Jahr wieder für die Konservativen verlorengehen. 

Doch auch im Süden droht für Sunak Ungemach. Daß der Premierminister die Gedenkzeremonie für die Landung in der Normandie vorzeitig verließ, legen ihm viele Konservative als Affront aus. Eine Steilvorlage für Farage, der dem Amtsinhaber prompt vorwarf, die englische Kultur „nicht zu verstehen“. Den daraufhin folgenden Shitstorm, er habe damit „rassistische Andeutungen“ gemacht, wie es eine Abgeordnete der Tories ausdrückte, wischte Farage routiniert beiseite, Rishi Sunak sei „aufgrund von Klasse und sozialer Prägung völlig abgehoben“. Ein Punktsieg für den ehemaligen Börsenmakler aus Südengland, der auch im Norden gut aufgenommen wurde. 

Überhaupt zeigt sich Farage in der Öffentlichkeit deutlich gelassener als Sunak. Selbst eine Milch-shake-Attacke konnte den überzeugten Anzugträger nicht aus der Ruhe bringen. Nachdem ihn eine Frau mit dem süßen Getränk übergossen hatte, posierte Farage stets grinsend mit einem vollen Becher. Die Botschaft: Den kampagnenerfahrenen Farage bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Amtsinhaber Sunak mußte sich hingegen die Frage gefallen lassen, „wie sehr er Farage fürchte“. Eine Schrecksekunde lang zögerte Sunak, bevor er auf das etablierte Zweiparteiensystem verwies. Jede Stimme für Farage sei „eine verlorene Stimme“ für den Kampf gegen illegale Einwanderung, ein Thema, das Reform UK als „Schicksalsthema“ für die Wahl ausgerufen hat. 

Kritiker sehen in Sunaks Antwort einen Punktsieg von Reform UK, denn damit habe man unwidersprochen das „Agenda Setting“ des Gegners übernommen, wie es ein Mitarbeiter eines Abgeordneten gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ausdrückt. Tatsächlich zeigen Umfragen, wie sehr das Thema die Briten umtreibt. 

Das linke Lager steht bisher noch geschlossen 

Bisher ist die Regierung von Sunak damit gescheitert, abgelehnte Asylbewerber gleich welcher Herkunft nach Ruanda abzuschieben. Die illegale Einwanderung gilt vielen Briten als Sicherheitsrisiko, in den sozialen Netzwerken kursieren immer wieder Videos von kleinen Booten voll mit Migranten, die den Ärmelkanal überqueren. In neun von zehn Wahlkreisen sprach sich im Januar eine deutliche Mehrheit für die Reduzierung der Einwanderung aus. 

Doch offenbar verlieren viele Wähler das Vertrauen in die konservative Regierung, dieses Thema effizient angehen zu können. Für Farage ein gefundenes Fressen. Wer weder Labour noch Konservative wählen will, der könnte am 4. Juli seine Stimme an Nigel Farage und seine Reform UK geben. In mindestens vier Wahlkreisen gilt ein Wahlsieg der Neulinge als möglich. Das ist nach bundesdeutschen Maßstäben wenig, dürfte aber für die Tories ein wahrgewordener Albtraum sein. 

Denn in vielen anderen Wahlkreisen fehlen die Reform-UK-Stimmen dem Kandidaten der Konservativen zum Wahlsieg, mit weitreichenden Folgen. Verstärkt sich der Trend, dürfte sich eine rechte Konkurrenz zu den Konservativen etablieren. Profitieren wird davon kurzfristig vor allem Labour, denn das linke Lager steht einstweilen noch geschlossen.