Völlig losgelöst, von der Erde, heißt es in dem Lied „Major Tom“, schwebt das Raumschiff – „völlig schwerelos“. Der Hit von Peter Schilling aus dem Jahr 1982 soll bei der am Freitag beginnenden Fußball-Europameisterschaft in Deutschland als Torhymne unserer Nationalmannschaft dienen.
Während bei unseren DFB-Kickern nach einem sportlichen Tiefpunkt im vergangenen Jahr die Formkurve wieder anzusteigen scheint, könnte dieser Song hingegen kaum treffender den Zustand beschreiben, in dem sich die Führung des Deutschen Fußball-Bundes rund um ihren Präsidenten Bernd Neuendorf und seinen neuen Geschäftsführer Sport, Andreas Rettig, befindet.
„Es brodelt im Verband“, sagen DFB-Insider in vertraulichen Gesprächen mit der JF. Und das nicht erst seit kurzem. Denn trotz aller Vorfreude auf die EM tobt hinter den sportlichen Kulissen des größten nationalen Sportfachverbandes der Welt bereits seit Jahren ein Konflikt um Macht und Einfluß. Die DFB GmbH & Co. KG erzielte 2022 Umsätze in Höhe von fast 200 Millionen Euro.
„Die Politisierung des Fußballs wird von linken Netzwerken innerhalb und außerhalb des DFB schon seit einiger Zeit systematisch vorangetrieben“, meint etwa ein ehemaliger Funktionär des FC Bayern München, der „aus guten Gründen“ namentlich nicht genannt werden möchte, wie er sagt.
„In diesem Zusammenhang haben sich ja schon viele das Maul verbrannt, da gibt es Leute beim DFB, die den Fußball für ideologische Zwecke und für einen politischen Feldzug gegen alle diejenigen mißbrauchen, die ihnen in irgendeiner Art und Weise als zu rechts erscheinen oder ihrem politischen Weltbild widersprechen“, schimpft der einst langjährige Mitarbeiter des Vereins, der zudem von „medialen Hinrichtungen“ ehemaliger Profis berichtet, die an den „Politisierungs-Bestrebungen Kritik geübt“ hatten.
„Antifa-Andi“ bereitete den Sieg des SPD-Mannes vor
Auf die „deftige Art“ habe dies bereits in den neunziger Jahren Mehmet Scholl getan, erinnert sich der Ex-Funktionär. „Er war damals in unserem Vereinsmagazin nach seinem Lebensmotto befragt worden und antwortete ‘hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt’, das war natürlich harter Tobak.“ Der Spruch sei damals gar nicht von ihm gekommen, vielmehr habe es sich um einen alten Sponti-Spruch gehandelt. „Aber die Grünen verstanden da keinen Spaß, einige stilisierten den flapsigen Spruch sogar zu einem Aufruf zum Mord hoch und erstatteten Strafanzeige.“
Seitdem zähle Scholl zum „Feindbild der Linken“, der aus öffentlichen Debatten herausgedrängt werden solle. „Und die gleichen Charaktere von damals sitzen heute an den Schaltstellen des DFB.“ Charaktere, die heute versuchen würden, „den Fußball als Mittel für ihre politische Agenda zu den Themen Diversität, Klimaschutz und Antirassismus zu mißbrauchen“.
Angefangen habe es damit bereits zur Amtszeit des merkeltreuen CDU-Politikers Theo Zwanziger, als dieser zwischen 2006 und 2012 Präsident des Verbandes war. „Und inzwischen ist es eine SPD-Connection, die innerhalb des DFB diese politische Agenda fortführt.“
Gemeint ist der ehemalige SPD-Funktionär Bernd Neuendorf, der seit zwei Jahren an der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes steht und zuvor lange Zeit als SPD-Pressesprecher sowie als Landesgeschäftsführer der SPD in Nordrhein-Westfalen tätig war. 2012 machten ihn die Genossen gar zum Staatssekretär im Landesministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sport.
In einer Kampfabstimmung gegen den damaligen Interims-Präsidenten Peter Peters gelangte Neuendorf 2022 schließlich in das Amt des höchsten DFB-Repräsentanten. Zu verdanken hatte er dies nicht zuletzt dem Einsatz von Andreas Rettig, der bereits im September 2021 für Neuendorf die Werbetrommel rührte, indem er sich telefonisch in die Sport1-Sendung „Doppelpaß“ schalten ließ und gegen den damaligen DFB-Interims-Chef Peters verbal austeilte. „Mich würde schon mal interessieren, was dich, Peter, für das Amt des Präsidenten qualifiziert“, brüskierte er den langjährigen Schalke-04-Vorstand, der auch stellvertretender Präsidiumssprecher der Deutschen Fußball Liga (DFL) und seit 2019 Vizepräsident des DFB war.
„Naja, viele bei uns fragen sich inzwischen allerdings auch, was Andreas Rettig für das Amt des Geschäftsführers Sport beim DFB qualifiziert“, meint dagegen ein niedersächsischer Verbandsfunktionär im Gespräch mit der JF. Sportlich habe dieser „bisher fast nur verbrannte Erde hinterlassen“, deutet er Rettigs mehr als überschaubare Erfolge als Fußballmanager an. „Egal, wo man sich umhört, ob im Ligaverband, den Regional- oder den Landesverbänden: Fast alle haben hinter vorgehaltener Hand mit Kopfschütteln und Verständnislosigkeit auf diese Personalie reagiert“, erzählt der Funktionär.
Der auf Rettigs Ernennung im Herbst vorigen Jahres folgende Rücktritt von Ex-Bayern-Chef Karl-Heinz Rummennigge und des RB-Leipzig-Oberen Oliver Mintzlaff aus der DFB-Taskforce habe ihn daher „nicht weiter verwundert“.
Rettig, der mit dem Spitznamen „Antifa-Andi“ betitelt wird, gilt als eine Art politischer Linksaußen der Fußball-Funktionärsszene. Schon seit Jahren führt er einen Feldzug für die weitere Politisierung und Anti-Kommerzialisierung des Profisports. In den Verbänden würden nicht wenige Rettigs Ernennung an der Taskforce vorbei als gefällige Gegenleistung für dessen Neuendorf-Einsatz bewerten.
„Das wird für eine noch größere Politisierung des Fußballs sorgen“, ist sich der niedersächsische Funktionär sicher. Trotz des „politischen Theaters von Katar, der die Mannschaft verunsicherte und den Fokus vom Spiel ablenkte“.
Besonders in den Jugendabteilungen sei der Frust über Rettig groß. „Viele fürchten, daß es nun noch stärker zur politischen Erziehung von Nachwuchsspielern kommen wird.“ Ende des laufenden Jahres trennt sich der DFB von Joti Chatzialexiou. Der 48jährige war als sportlicher Leiter für die Nachwuchs-Nationalmannschaften tätig, hatte zuvor entscheidende Reformen in der Talentförderung auf den Weg gebracht. Unter anderem war er für die U17-Nationalmannschaft verantwortlich, die im vergangenen Jahr zum ersten Mal nach langer Zeit den Weltmeister-Titel holte. Der Grund: Angeblich Streit über Kompetenzen mit Rettig. Der DFB dementierte. Man habe sich einvernehmlich getrennt.
Glaubt man den Aussagen der Uefa, so werde die jetzt beginnende Fußball-Europameisterschaft in Deutschland von politischen Botschaften verschont bleiben. „Niemand sollte das Turnier für seine persönliche oder eine politische Agenda mißbrauchen“, hatte der Slowene Aleksander Čeferin, seines Zeiches seit 2016 Präsident der Uefa, im Vorfeld der EM betont.
Eine Aussage, die die Betreuer eines Bezirksliga-vereins in der niedersächsischen Region Cloppenburg-Vechta nicht kaltläßt. „Ich lach mich schlapp, was bitte ist denn dann das Projekt ‘Anstoß für Grün?’ Das ist doch politische Agenda pur“, schildert einer von ihnen der JF, wie Bundesregierung und DFB derzeit die Europameisterschaft nutzten, um die eigenen Vorstellungen unter dem Motto „Zusammen gegen den Klimawandel“ über die Vereine und Verbände in Deutschland umzusetzen.
„Klimaschutz im Amateurfußball – gemeinsam auf dem Weg zur klimafreundlichen Uefa Euro 2024“, lautet der Projekttitel, unter dem der DFB mit Fördergeldern in Höhe von über zwei Millionen Euro diejenigen Vereine belohnen will, die klimafreundliche Investitionen in ihren Clubs tätigen. „Wer mitmacht wird belohnt und bekommt Geld, wer Kritik daran übt, bekommt das verbandsintern deutlich zu spüren“, sagen sie hier. Das nötige Geld dafür stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zur Verfügung. Seit dem 1. Januar 2022 läuft das Projekt und endet zum 31. Dezember 2025. Der DFB hat eigens eine eigene Homepage erschaffen und ein umfassendes „Klimatool“ erstellt.
„Wir sollen jetzt die Dächer begrünen. Geht’s noch?“
Auch die Uefa ist dabei. Sie stellt nochmals sieben Millionen Euro für Klimaschutzprojekte bereit, wird zudem für jede Tonne CO2-Emissionen, die durch die Europameisterschaft freigesetzt werden 25 Euro in einen Klimafonds einzahlen.
„Wir sollen jetzt Dächer begrünen und eine Klima-AG im Verein gründen. Geht’s noch? Wenn die mal nur halb soviel Kohle für den Fußball raushauen würden, wären wir beispielsweise in der Nachwuchsarbeit schon deutlich weiter“, meint einer der Betreuer.
Und das Thema Klima sei nicht das einzige, „mit dem uns die Verbandsoberen beglücken“. Mit Themen wie Antirassismus und Diversität werde den Vereinen zusätzlich in die Arbeit hereingeredet.
In der Antirassismus-Arbeit ist es das Projekt „Respect“, das bei DFB und Uefa zum Tragen kommt und bereits seit Jahren von einem linken Netzwerk rund um Antifa-Gruppen und den Ex-DKP-Mann und den Fankultur-„Experten“ Dieter Bott herum betrieben wird (JF 34/16).
„Für alles am besten gleich auch noch eine AG oder irgend so einen Beauftragten, der dafür dann aber nichts von Fußball versteht“, sagt der Mann nicht ohne Sarkasmus im Ton.
Selbst im linkslastigen Bremen sind Vereinsbetreuer über die Politisierung des Fußballs zunehmend frustriert. „Die sollen uns einfach mal in Ruhe unsere Arbeit machen lassen. Diese Politisierung hilft niemandem weiter und schießt vor allem keine Tore“, meint auch ein Bremer Jugendbetreuer zur JF. Sowohl in Bremen als auch im Raum Cloppenburg-Vechta soll der Verein nicht genannt werden, legen sie an beiden Orten wert drauf. „Sonst gibt’s von den Vereinsoberen was auf den Deckel.“ Viele Vereine seien zudem auf Fördergelder angewiesen, wollen sich da „nicht unnötig Streß einhandeln“.
Vor allem für die Nationalmannschaft wünscht er sich „mehr Fokus auf das Spiel und weniger Streß mit mißratenen Polit-Aktionen wie in Katar“. Immerhin: Die deutsche Kapitänsbinde wird zur EM statt mit Regenbogen-Farben wieder mit Schwarz-Rot-Gold ausgestattet sein. Die meisten Nationalspieler werden wohl heimlich darüber jubeln. Völlig losgelöst.