© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/24 / 14. Juni 2024

„Gefährder haben hier nichts verloren“
Abschiebungen: Nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim setzt die SPD verbal auf Härte / Grüne bremsen
Christian Vollradt

Vor dem Hintergrund der Ermordung eines Polizisten und dem Angriff auf den Islamkritiker Michael Stürzenberger in der Innenstadt von Mannheim (JF 24/24) ist eine neue Debatte über das Thema Abschiebung entbrannt. „Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren“, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz mit Blick darauf vergangene Woche in seiner Regierungserklärung gesagt. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stieß nun ins selbe Horn und betonte, sie wolle, „daß abgeschoben wird nach Afghanistan und Syrien“. Es könne nicht sein, „daß Gefährder und Straftäter, wenn sie ihre Haft hier verbüßt haben und von ihnen immer noch Gefahr ausgeht, hier bleiben“, sagte die Ministerin dem Deutschlandfunk. Da gingen „deutsche Interessen, Sicherheitsinteressen einfach vor“, betonte sie. 

„Nur politischen Unwillen verdecken“

Ein Sprecher ihres Ministeriums ergänzte vergangene Woche, man arbeite „intensiv“ daran, Gewalttäter und Gefährder schneller auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben: „Das ist keine ganz neue Maßnahme, sondern eine, die schon mehrfach in der Innenministerkonferenz beraten wurde.“ Dazu führe man Gespräche mit Nachbarstaaten, „um Wege zu eröffnen, wie die Bundespolizei die für Rückführungen zuständigen Bundesländer unterstützen kann“. Weiter ins Detail gehen wollte Faesers Sprecher nicht. „Wir nennen auch die Staaten nicht, mit denen wir darüber Gespräche führen, um vertrauliche Regierungsgespräche nicht zu gefährden.“ Erwogen werden offenbar Charterflüge in Nachbarstaaten, von denen aus die Afghanen dann auf dem Landweg in ihr Herkunftsland verbracht werden könnten. Zudem werde die Bundesinnenministerin in Kürze eine gesetzliche Erweiterung vorlegen. Darin vorgesehen sei ein weiterer Ausweisungstatbestand im Aufenthaltsrecht für Personen, die terroristische Taten billigen, verherrlichen, „wie das jetzt nach der furchtbaren islamistischen Messerattacke auf den Polizeibeamten und weitere Personen in Mannheim wieder geschehen ist“.

Bremsend machte sich indes das grün geführte Auswärtige Amt bemerkbar. Im Haus von Annalena Baerbock warnte man vor einer Zusammenarbeit mit den islamistischen Taliban. Nach deren Machtübernahme in Kabul 2021 waren Abschiebungen nach Afghanistan unter Verweis auf die Sicherheits- und Menschenrechtslage ausgesetzt worden. „Zentrale Fragen, was Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Umsetzbarkeit angeht, sind nicht geklärt“, meinte auch der grüne Co-Vorsitzende Omid Nouripour im Magazin Stern und spielte den Ball zurück. Darauf müsse „das Innenministerium nun Antworten geben“. Ein Taliban-Sprecher hatte am vergangenen Freitag auf der Plattform X die deutschen Behörden aufgefordert, „die Angelegenheit im Rahmen der üblichen konsularischen Beziehungen“ miteinander zu klären. 

Das Argument, die Bundesregierung dürfe das Regime in Kabul nicht anerkennen und könne daher auch keine Verhandlungen mit den Taliban führen, ist nach Ansicht der AfD im Bundestag eine „Nebelkerze“. Sowohl vor als auch nach der völligen Machtübernahme der Islamisten in Afghanistan im August 2021 hätten Vertreter Berlins vertrauliche Gespräche mit hochrangigen Taliban in Doha und Kabul geführt, meinte der Abgeordnete Stefan Keuter. Dies sei in der bisherigen Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses Afghanistan „mehr als einmal deutlich geworden“, sagte der Obmann. Die Hinweise, daß Abschiebungen nach Afghanistan kaum durchführbar seien, „sind als Scheinargument einzuordnen, das die langjährige eigene Kooperation mit den Taliban und Baerbocks politischen Unwillen zu Abschiebungen verdecken soll“, so Keuter.

Auch Baerbocks Vor-Vorgänger im Auswärtigen Amt, Sigmar Gabriel (SPD), forderte von Berlin eine Wende. „Die Bundesregierung muß Verhandlungen selbst mit den Taliban versuchen, um Abschiebungen nach Afghanistan gerichtsfest zu machen“, schrieb der Ex-Minister und frühere Vizekanzler in einem Gastbeitrag für die Bild am Sonntag. „Sie muß Kabul überprüfbare Garantien abverlangen, daß Abgeschobene nicht gefoltert oder getötet werden.“ Auch solle Deutschland Staaten wirtschaftlich belohnen, die ihre Landsleute wieder aufnehmen. 

Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge mußten in den vergangenen vier Jahren 175 Gefährder Deutschland verlassen. Momentan zählten die Sicherheitsbehörden rund 480 islamistische Gefährder, wovon die Hälfte in Haft oder im Ausland sei. Der Ministeriumssprecher betonte außerdem, daß Deutschland zwischen Januar und April des laufenden Jahres 6.316 Menschen abgeschoben habe. Das seien im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 30 Prozent mehr.

Foto: Berliner Polizeianwärter salutieren zu Ehren des in Mannheim ermordeten Kollegen: „Deutsche Sicherheitsinteressen gehen vor“