© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/24 / 07. Juni 2024

Frisch gepresst

Hannah Arendt. Lindsey Stonebridge ist Professorin für „Humanities und Menschenrechte“ an der Universität Birmingham, forscht zur politischen Theorie des 20. Jahrhunderts, zu Migration und zu „Auswirkungen von Gewalt auf Leben und Denken“. Mit dieser zeitgeistfrommen Expertise empfiehlt sie sich als ideale Autorin einer Biographie, die uns die Philosophin Hannah Arendt (1906–1975) „so nahebringt, wie wir sie für das 21. Jahrhundert brauchen“. Doch so uneingeschränkt aktualisieren lassen sich Leben und Werk der in Kants Königsberg aufgewachsenen widerborstigen Selbstdenkerin nicht. Wie schon Thomas Meyer 2023 in der Arendt als Flüchtlingshelferin heroisierenden Biographie kleinlaut gestehen mußte, könne man die „eurozentrische“ Bildungsbürgerin für Modethemen wie Gender, Diversity und Postkolonialismus leider nicht einspannen. Das in der neueren Arendt-Literatur eröffnete Sündenregister erweitert Stonebridge daher noch um Vorwürfe der Ignoranz gegenüber den US-Rassenkonflikten der 1960er und der „abstoßend rassistischen europäischen Überheblichkeit“, mit der sie während eines Jerusalem-Besuchs auf den „orientalischen Mob“ reagierte. Und der zu Recht ins Zentrum ihrer Darstellung gerückte Totalitarismus im Zeitalter der Extreme kommt in Stonebridges blauäugiger Wiedergabe ohne die Rudimente kapitalismuskritischer Ansätze aus, die sich selbst in Arendts Theorie zu diesem Phänomen noch finden. (wm)

Lyndsey Stonebridge: Wir sind frei, die Welt zu verändern. Hannah Arendts Lektionen in ­Liebe und Ungehorsam. Verlag C. H. Beck, München 2024, gebunden, 351 Seiten, Abbildungen, 26 Euro


Germanisch. Sprache, so ließe sich das Ergebnis dieses Buches vielleicht zusammenfassen, ist bei der Erforschung der Vergangenheit kaum weniger ergiebig als archäologische Funde. Das heutige Indien mag uns überaus exotisch erscheinen, und doch reicht ein einfacher Blick auf das Altindische, um zu erkennen, wie nahe uns das Fremde einmal war. Was im Deutschen Vater heißt, nennt sich dort Pita, Mutter entspricht Mata und Sohn wird mit Sunuh übersetzt – „die gemeinsame Herkunft der altindischen und germanischen Parallelen würde selbst ein Laie mühelos erkennen“, faßt es der Sprachwissenschaftler Wolfram Euler zusammen. Konkret beschäftigt sich der Text mit Lautverschiebungen und grammatikalischen Veränderungen in älteren germanischen Sprachen. Das ist sprachwissenschaftlich, aber auch historisch interessant, da die Veränderungen zugleich Rückschlüsse über das Denken unserer Vorfahren zulassen, von religiösen Ideen über Familienstrukturen. Mühelos verständlich ist das allerdings in erster Linie für ein Fachpublikum. (lb)

Wolfram Euler: Frühgermanische Studien. Überlegungen zur Entwicklung von Grammatik und Wortschatz im ältesten Germanischen. Verlag Inspiration Unlimited, Berlin 2023, broschiert, 143 Seiten, 49 Euro