© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/24 / 07. Juni 2024

Zwischen Norm und Protesten
Unis in Not: Dieter Schönecker in der Bibliothek des Konservatismus
Florian Werner

Als sie gebraucht wurden, blieb es still an den Hochschulen. Stichwort: Migration. Stichwort: Corona. Stichwort: Ukraine. Statt intellektuellem Protest kamen nur stromlinienförmige Stellungnahmen aus den Hörsälen. Daß dieser Konformitätsdruck nach außen mit einem Anpassungszwang nach innen einhergeht, erörterte unlängst der Philosoph Dieter Schönecker in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin.

Der Kant-Forscher von der Universität Siegen berichtete unter dem Titel „Akademische Verbannung: Die Wissenschaftsfreiheit und ihre Feinde“ darüber, wie wissenschaftlicher Austausch in Deutschland immer weiter erschwert wird. 2018 hatte der bekennende Liberale persönliche Anfeindungen erlebt, nachdem er an seiner Universität eine Podiumsdiskussion mit den Publizisten Norbert Bolz und Thilo Sarrazin veranstaltete.

Die These, die er an diesem Abend in der Bibliothek vorträgt, lautet: „Die Linken haben die Schulen und Unis übernommen“. Auch der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau sowie der Politologe Martin Wagener sitzen im Publikum. Der Sache nach formuliert Schönecker vorsichtig. Während seines Referats redet der gebürtige Kölner von „akademischer Verbannung“ nicht von „Cancel Culture“. Jenes Schlagwort sei in den vergangenen Jahren zu einem „dichten Begriff“ geronnen, dessen Konnotationen einen sachlichen Umgang verstellten. Philosophische Begriffsarbeit wie diese nimmt das Publikum dankbar auf. 

Um seiner Rhetorik Empirie an die Seite zu stellen, greift Schönecker auf seinen Erfahrungsschatz als Mitbegründer des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“ zurück. Forschung und Lehre stünden derzeit vor allem im akademischen Mittelbau unter Druck. Doktoranden und Studenten, die an Fragestellungen außerhalb des Mainstreams arbeiteten, hätten kaum noch eine Chance auf Karriere.

Wissenschaftsfreiheit gegen Links und Rechts verteidigen

Reserviert reagiert der Lesesaal indes auf Schöneckers Plädoyer, in der „akademischen Verbannung“ den verzerrten Ausdruck eines moralischen Fortschritts zu erblicken. „Aristoteles hatte kein Problem mit der Sklaverei, wir – fast alle – schon; Kant hatte ein Problem mit Homosexualität, wir – jedenfalls viele von uns – nicht. Das kritikwürdige Phänomen ist also nicht eine inflationäre Moralisierung.“

Ihm geht es um Verständnis, nicht um Polemik. Selbst die „Critical Race Studies“ hätten einen Punkt. „Wer sich konsistent und ernsthaft für die Wissenschaftsfreiheit einsetzt, muß sich für die Wissenschaftsfreiheit aller Wissenschaftler einsetzen.“ Er mahnt: Wenn die AfD könnte, würde sie selbst die „Gender Studies“ verbieten. Auf die akademische Hegemonie der Linken dürfe aber nicht einfach eine der Rechten folgen.

Solche Deutungshoheit rächt sich nicht zuletzt an dem, der sie hat, wie sich an den jüngsten Unibesetzungen zeigt. Studenten hatten ihre Solidarität mit Palästina durch häßliche Schmierereien ausgedrückt – politische Gesten sind das nicht. Ohne Streit kein Geist, könnte man mit Schönecker sagen.