Am 8. Mai taten sich die Vorsitzenden der sozialdemokratisch/sozialistischen S&D-Fraktion, der liberalen Renew Europe-Fraktion sowie die Ko-Vorsitzenden der Grünen/Freie Europäische Allianz und Fraktion der Linken im EU-Parlament zusammen, um angesichts eines progostizierten Zuwachses der rechten Parteien bei der EU-Wahl zur „Verteidigung der Demokratie“ aufzurufen. „Wir stehen vor einem entscheidenden Moment in der Geschichte unseres europäischen Projekts, in dem die extreme Rechte einmal mehr versucht, die dunkelsten Seiten unserer Geschichte wieder aufleben zu lassen, indem sie alles in Frage stellt, was wir aufgebaut haben, und unsere Demokratien vergiftet“, erklärten sie und forderten mit Blick auf die Spitzenkandidatin der liberal-konservativen EVP-Fraktion, Ursula von der Leyen, alle „demokratischen europäischen Parteien auf, jegliche Normalisierung, Zusammenarbeit oder Allianz mit den rechtsextremen und radikalen Parteien entschieden abzulehnen“. Der Aufstieg der rechtsextremen Parteien in Europa sei eine „Bedrohung für unser gemeinsames Projekt, seine Werte und die bürgerlichen Freiheiten und Grundrechte seiner Bürger“.
Doch Ursula von der Leyen plädierte nun auch gegenüber dem Deutschlandfunk dafür, mit Abgeordneten rechter Parteien im Europaparlament zusammenzuarbeiten, wenn diese proeuropäisch und rechtsstaatlich denken und sich an die Seite der Ukraine stellen. Sie sprach zugleich von einer „Richtungswahl“, in der es darum gehe, ob Eu-ropa sich stark weiterentwickelt oder gar gespalten und zersetzt werde, „wie es die Rechtspopulisten“ wollten.
Im Vordergrund steht hier Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin und Chefin der Partei Fratelli d’Italia, die seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 ihre politische Agenda bedeutend verändert hat. Sie wird nach der anstehenden Europawahl wohl die zahlenmäßg stärkste Gruppe innerhalb der EU-Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) nach Brüssel schicken.
Ähnlich die langjährige Chefin des französischen Rassemblement National, Marine Le Pen, die aktuell noch die stärkste Abteilung in der zweiten rechten Fraktion Identität und Demokratie entsendet. Ursprünglich für ihre EU-feindlichen Äußerungen bekannt, präsentieren sich beide nun gemäßigter, staatstragend und mitunter sogar pro-europäisch.
Ihr Einfluß in Europa wächst, und sie streben bei den bevorstehenden EU-Parlamentswahlen vom 6. bis zum 9. Juni eine rechte Mehrheit an. Diese Veränderung ist nicht unbemerkt geblieben, und sowohl EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen als Teil der mittigen EVP-Fraktion als auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Fidesz (Ex-EVP) zeigen Interesse. Meloni sagte im Rai Radio 1: „Heute gibt es Möglichkeiten, das Bild Europas zu verändern, die es vorher nicht gab. Wir sind es uns selbst schuldig, sie zu nutzen.“
Le Pen hat indessen die Möglichkeit einer gemeinsamen Fraktion mit Meloni im EU-Parlament angesprochen. „Jetzt ist der Moment, sich zu vereinen“, sagt sie. Sollte das gelingen, könnte die zweitgrößte politische Kraft im EP enstehen. Trotz ihrer Annäherungen plant Meloni anscheinend eine Zusammenarbeit mit der von von der Leyen geführten EU-Kommission, nicht jedoch mit der ID unter Führung des Rassemblement National. Dennoch bleibt es unwahrscheinlich, daß beide Fraktionen zusammenfinden, auch nach dem Rauswurf der AfD. Schließlich bleiben große europäische Streitfragen, wie etwa die Stellung zum Ukraine-Krieg, ein Garant für weitere Konflikte. Ein Knackpunkt, um beispielsweise die ungarische Fidesz aufzunehmen. Einigkeit besteht in der EKR-Fraktion in einer harten Einwanderungspolitik sowie in einer konservativ ausgerichteten Sozialpolitik.
Europas Rechtsparteien: Ein Großteil von ihnen wird das Ergebnis der EU-Wahl 2019 steigern können
Grafiken siehe PDF-Ausgabe
Verteilung der 720 Sitze auf die EU-Staaten (ab Juni 2024)
Die konkrete Anzahl richtet sich nach der Größe der Bevölkerung des jeweiligen Landes.
Prognostizierter Zuwachs der Rechtsfraktionen Die Rechtsparteien des EU-Parlaments in den rechten Fraktionen ID und EKR werden laut
Umfragen zulegen, die der Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen dagegen verlieren
Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA)
Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D)
Renew Europe (RE)
Europäische Volkspartei (EVP)
Europäische Konservative und
Reformer (EKR)
Identität und Demokratie (ID)
Abgeordnete ohne Fraktion (NI)