© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/24 / 07. Juni 2024

Reiche Amis, arm gewordene Deutsche
Wohlstandsvergleich: Bei Haushaltseinkommen und Konsum schneiden die USA besser ab als Deutschland / Auch Vermögen sind höher
Thomas Kirchner

Aufs Empire State Building hinauf-, in den Grand Canyon hinabzusteigen oder an Floridas Stränden dem kalten Wetter zu entfliehen ist für Touristen aus der Eurozone teuer geworden: Vor der Währungsunion kostete ein Dollar etwa 1,50 D-Mark. Inzwischen sind 93 Euro-Cent zu zahlen – das wären 1,83 D-Mark. Nicht nur der Wechselkurs belastet. Auch die Kosten halten in den USA mit dem dort stärker steigenden Lebensstandard mit. Umgekehrt wird die EU für US-Touristen immer billiger, die sich auf dem alten Kontinent wie Superreiche fühlen.

Unsere Politiker halten Deutschland dennoch für reich, aber selbst in Europa gilt das nur für die Gesamtwirtschaftsleistung (2023: 4,1 Billionen Euro) des bevölkerungsreichsten EU-Landes. Pro Kopf lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 bei 48.700 Euro – das wären aktuell umgerechnet 52.850 Dollar und das Niveau von Hongkong oder Israel. In diesem Jahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) für die USA ein BIP pro Kopf von 85.373 Dollar. In den Niederlanden sind es immerhin 63.750 Dollar, in Dänemark sind es 68.898 Dollar und in der Schweiz umgerechnet 105.669 Dollar.

Längere Jahresarbeitszeit und höhere Durchschnittslöhne

Beim privaten Durchschnittsvermögen sieht der „Global Wealth Report 2023“ der UBS Deutschland mit 256.180 Dollar hinter Taiwan und knapp vor Irland lediglich auf Platz 16 in der Welt (JF 21/24). In den USA waren es 551.347 Dollar pro Erwachsenen. Beim Medianvermögen, also dem Nettovermögen desjenigen Deutschen, für den es ebenso viele ärmere wie reichere Landsleute gibt, schafft es das „beste Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier) mit 61.741 Dollar knapp vor Slowenien gerade noch so in die globalen Top-30. In den USA waren es 107.739 Dollar. Bei Einkommen und Vermögen, und damit auch beim Lebensstandard, haben die USA in den vergangenen Jahrzehnten die meisten europäischen Länder und gerade auch Deutschland deutlich abgehängt. Bei mittleren und durchschnittlichen Gehältern ist der Unterschied bereits klar: die Hälfte der Amerikaner verdient mehr als 69.000 Euro gegenüber 48.000 bei den Deutschen. Teilweise läßt sich das durch die längere Jahresarbeitszeit und den geringeren Urlaubsanspruch der Amerikaner erklären, aber bei den Feiertagen (US-weit elf; plus regionale Feiertage) liegen sie sogar vor Hamburg (zehn). Das Rentenalter liegt auf beiden Seiten des Atlantiks bei 67.

Noch stärker spürt man den Lohnunterschied bei Hochqualifizierten. In den USA können Deutsche riesige Gehaltssprünge erzielen. Die oberen zehn Prozent verdienen in Deutschland jährlich ab 85.000 Euro, in den USA hingegen 126.000 Euro. Ein französischer Mathematiker, der in die USA ging, jubelte über einen Gehaltssprung auf 85.000 Dollar jährlich – nur um dann festzustellen, daß er viel zu niedrig verhandelt hatte. Nach einem weiteren Jobwechsel konnte er ein US-Marktgehalt von 400.000 Dollar erreichen. Einkommensungleichheit ist verpönt, doch ist es gerade der relativ höhere Lebensstandard, der auf Hochqualifizierte eine magische Anziehungskraft ausübt. Die DDR mußte wegen der Attraktivität der höheren Ungleichheit im Westen die Mauer bauen, um Leistungsträger im Land zu halten. Die USA ziehen IT-Spezialisten und Mediziner aus der ganzen Welt mit Einkommen an, von denen sie in der alten Heimat nur träumen können.

Kapitaleinkommen erklären einen Teil des Einkommensunterschieds

Daß der amerikanische Finanzkapitalismus die soziale Marktwirtschaft abgehängt hat, wollen viele nicht glauben. Für die Hans-Böckler-Stiftung des DGB produzierte VWL-Professor Jan Priewe (HTW Berlin) eine Studie, deren Kernaussage lautet: Zwar verdienen und konsumieren Amerikaner mehr, weil sie mehr arbeiten, aber uns geht es trotzdem besser, weil wir bei zehn von 15 Themenbereichen besser abschneiden. Es klingt nach der Idee, man müsse das BIP durch einen Wohlfühlindikator ersetzen. Beide messen unterschiedliche Dinge, man kann sie parallel betrachten, aber nicht einen durch den anderen ersetzen. Entsprechend sind die in der Studie verglichenen Indikatoren erstens nicht unabhängig voneinander – kürzere Lebenserwartung beispielsweise korreliert mit Kriminalität – und zweitens so gewählt, daß von vornherein klar ist, daß die USA hinten liegen, wie Kriminalität, CO₂-Emissionen oder Sozialstaat.

Energiepreise, Bürokratie, Krankenhaussterben, Pünktlichkeit der Bahn, steile Steuerprogression, hohe Verbrauchssteuern, Verfügbarkeit modernster Medikamente – solche relevanten Indikatoren fehlen und würden das Ergebnis ins Gegenteil verkehren. Selbst die ausgewählten Indikatoren sind bei objektiver Betrachtung nicht vorteilhaft für Deutschland.

Beispiel höhere Gesundheitskosten in den USA bei nicht besserer Gesundheit. Personal ist bekanntlich der größte Kostenfaktor in diesem Bereich. Angesichts der im deutschen Gesundheitswesen niedrigen Löhne erscheinen die geringeren Kosten in einem anderen Licht. Krankenschwestern in Kalifornien verdienen durchschnittlich 69.000 Dollar brutto, wovon ihre deutschen Kollegen nur träumen können. Ärzte profitieren von der großen US-Ungleichheit noch stärker: In den USA liegt das durchschnittliche Arztgehalt bei 327.360 Euro, mehr als das Doppelte der 148.000 Euro in Deutschland. Niedrigere Kosten reflektieren also nicht Effizienz, sondern Niedriglöhne. Deutlich höher ist in den USA die Armutsquote (15,1 gegenüber 10,9 Prozent), doch bezieht sich die Berechnung auf Einkommen, nicht Lebensstandard. Durch Sozialtransfers erreichen US-Haushalte an der Armutsgrenze einen Lebensstandard, der einem Vorsteuereinkommen von mehr als 60.000 Dollar entspricht. Auch fehlt in der Betrachtung die negative Einkommenssteuer in den USA, die den Niedriglohnsektor vergrößert, wogegen in Deutschland Arbeitslosigkeit besser bezahlt ist.

Bei Vermögen ist der Unterschied zwischen beiden Ländern noch größer als beim Einkommen. Das liegt teilweise an den weitverbreiteten Rentensparplänen auf Aktienbasis, die zusätzlich zur staatlichen Versicherung (Social Security) bestehen. Kapitaleinkommen spielen eine höhere Rolle und sind für einen Teil des Einkommensunterschieds verantwortlich. Doch Vermögen sind nur die Kehrseite der Medaille von Investitionen. Je größer die Vermögen, desto höhere Risiken können Bürger bei ihren Anlagen eingehen. Die US-Technologiebranche verdankt daher ihre Blüte der Verfügbarkeit von Kapital für ein derartiges Risikoprofil, während deutsche Anleger mehr auf den Kapitalerhalt ihrer festverzinslichen Anleihen achten müssen.


Comparing living and working conditions: Germany outperforms the United States (IMK-Study 91/24): www.imk-boeckler.de/fpdf/HBS-008792/p_imk_study_91_2024.pdf

Foto: Häuser in Minneapolis: Deutschland liegt im europäischen Vergleich nur noch im Mittelfeld