Nach dem Hamas-Überfall mutierte der Satz „Jachad Nenazeach – Gemeinsam werden wir siegen“ zum israelischen Slogan des Krieges. Angesichts der innenpolitischen Auseinandersetzungen vor dem 7. Oktober war es eine Selbstvergewisserung, die Reihen zu schließen. Doch je länger der Kampf gegen die Hamas im Süden und die Hisbollah im Norden dauert, desto stärker überlagern altbekannte Konflikte das Gemeinsame.
Nun könnte der Krieg aus innenpolitischer Perspektive in eine neue Phase eintreten: Am 18. Mai stellte Benny Gantz Premier Benjamin Netanjahu ein Ultimatum. Gantz, ehemaliger Armeechef und seit seinem Eintritt in die Politik 2018 großer Rivale Netanjahus, war wenige Tage nach Kriegsbeginn einer Notstandsregierung beigetreten.
Trotz großen, über Jahre angehäuften Mißtrauens gegenüber dem Premier ging er davon aus, sein Eintritt in das Kriegskabinett würde mehr nutzen als schaden. Dies scheint sich nun verschoben zu haben: „Die Einheit brachte starke Ergebnisse, aber in letzter Zeit ist etwas schiefgegangen“, sagte er Mitte Mai: „Wichtige Entscheidungen wurden nicht gefällt.“ Stattdessen habe „eine kleine Minderheit die Brücke des israelischen Schiffes übernommen und führt es geradewegs auf eine Felswand zu“.
Ende der Notstandsregierung scheint unabwendbar
Damit griff Gantz zum einen Unmut über radikalrechte Kräfte der Netanjahu-Koalition auf, die immer wieder mit Querschlägen für Empörung sorgen. Zum anderen machte er sich die internationale Kritik zu eigen, der zufolge Netanjahu keine Strategie für die Zukunft des Gazastreifens habe. Gantz’ Forderung daher: Der Premier solle bis zum 8. Juni einen „Aktionsplan“ formulieren, der unter anderem eine zivile Verwaltung für die Küstenenklave durch Amerikaner, Europäer, Araber und Palästinenser sicherstellt.
Netanjahu schoß zurück und warf Gantz vor, dessen Forderungen würden bedeuten, einen Palästinenserstaat zu errichten. Mittlerweile hat Gantz’ Fraktion einen Antrag zur Auflösung der Knesset eingereicht: Das Ende der Notstandsregierung scheint unabwendbar. Neuwahlen bedeutet das zunächst nicht – Netanjahus Regierung fiele nur auf ihre rechtskonservative Vier-Sitze-Mehrheit von vor dem Krieg zurück.
Trotzdem würde es die innenpolitische Dynamik verändern: Die Bemühungen der Opposition, die Regierung zu stürzen, würden immer mehr in den Vordergrund treten. Netanjahu hingegen dürfte tief in seine politische Trickkiste greifen, um die Sommersitzungen der Knesset bis zur Pause ab Ende Juli zu überstehen. Denn er steht auch aus den eigenen Reihen unter Druck: Noch vor Gantz hatte „Bibis“ Parteikollege und Verteidigungsminister Joav Gallant kritisiert, die Regierung verweigere eine Entscheidung über die Zukunft Gazas und begebe sich damit auf „einen gefährlichen Pfad“.
Auf der anderen Seite sieht sich Netanjahu von rechts herausgefordert: Radikalere Minister drohen, die Koalition zu sprengen, sollte der Premier auf Waffenstillstandsbedingungen eingehen, die US-Präsident Joe Biden vorgestellt hat.
Und dann ist da noch das ultra-orthodoxe Problem: Im März hatte das Oberste Gericht ein wegweisendes Urteil gegen die Ausnahme der Strenggläubigen von der Wehrpflicht gefällt. Nun steht die Regierung unter Druck, eine neue Regelung zu finden, doch die ultra-orthodoxen Koalitionspartner treten auf die Bremse. Das Thema polarisiert die israelische Gesellschaft seit Jahren.
„Wir haben eine generelle Krise der Führung“, sagt eine nationalreligiöse Israelin in Jerusalem, die nicht links ist, aber das System Netanjahu für geradezu mafiös hält. Das Problem: Auch die Alternative Gantz überzeugt viele Israelis nicht. In Umfragen liegt seine Partei zwar noch vor Netanjahus Likud, verliert aber wieder an Zustimmung.