© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/24 / 07. Juni 2024

Ländersache: Sachsen
Bitte umgehend umkehren
Paul Leonhard

Bleibt dieses eine Wort ungesagt, wird der Aufenthalt im gelobten Land verwehrt: „Asyl“. Landes-, aber auch Bundespolizisten setzen am Westufer der Neiße buchstabengenau das um, was Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) verlangt hat: konsequente Zurückweisungen an den Grenzen.

Inzwischen wird die Mehrzahl derer, die in den Grenzorten oder an den Neißebrücken in Görlitz bei der unerlaubten Einreise aufgegriffen werden,  mit einem Wiedereinreiseverbot belegt und nach Polen zurückgeschickt. Egal, ob sie aus Afghanistan, Ägypten, Syrien, Marokko, Pakistan, der Türkei, dem Iran, Jemen, Somalia oder dem Libanon kommen. Das bestätigte die zuständige Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf. Lediglich alleinreisende Minderjährige werden an das Jugendamt des Landkreises Görlitz und von diesem an Erstaufnahmeeinrichtungen in Dresden übergeben. Genau wie natürlich jene Flüchtlinge, die von ihren Schleusern entsprechend verdonnert wurden, beim Anblick eines Uniformierten sofort ein Schutzersuchen zu stellen.

Daß Zurückweisungen zur Regel werden, ist das Ergebnis einer Kehrtwende in Berlin. „Nachdem über all die Jahre hinweg Grenzkontrollen in Deutschland als logistisch nicht umsetzbar oder aber mit europäischen Verträgen unvereinbar abgestempelt und abgewatscht wurden, entschieden sich im vergangenen Jahr die Ampelparteien dazu, Grenzkontrollen nunmehr doch zuzulassen“, freut sich der Görlitzer Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel (AfD). Für den Politiker, der selbst von Beruf Polizist ist, belegt dies: „Grenzkontrollen verringern Asylgesuche und erhöhen Fahndungstreffer – die AfD behält wieder einmal recht.“

Die stationären Grenzkontrollen ermöglichen der Bundespolizei Aufgriff und Zurückweisung, wenn diese „im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise stehen“, so ein Sprecher der Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf gegenüber der Sächsischen Zeitung. Und die Beamten sind offenbar angewiesen, das in zeitlicher und räumlicher Hinsicht frei zu interpretieren.

Juristisch ignoriert Sachsen damit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der im September 2023 die Zurückweisung Asylsuchender an EU-Binnengrenzen für unzulässig befunden hat. Innenminister Schuster verweist dagegen auf die – sonst kaum noch durchgesetzte – Dublin-Verordnung, nach der Migranten in das zuständige  Ersteinreiseland überstellt werden, damit dort das Asylverfahren durchgeführt wird. 

In den Monaten Februar und März wurde unterdessen an der Grenze zu Polen ein Anstieg von 143 Prozent verzeichnet. Für das laufende Jahr rechnet Schuster mit einem „extrem hohen Migrationsdruck“ ähnlich wie 2023. Das ehrgeizige Ziel des Christdemokraten: Kein Asylant soll mehr aus einem sicheren Drittstaat über die sächsische Außengrenze einreisen, damit wenigstens „kurzfristig die dringend notwendige Migrationsbremse“ wirkt. Gelegen dürfte ihm da die Entscheidung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kommen: Sie hat vergangene Woche angeordnet, die vorübergehenden Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz bis zum 15. Dezember fortzusetzen.