Die neue Wehrpflicht wird freiwillig sein. Dieser offensichtliche Widerspruch steht stellvertretend für die derzeitige zwiespältige verteidigungspolitische Diskussion in Deutschland: Auf der einen Seite die markige Ankündigung einer Zeitenwende in der Sicherheitspolitik durch Bundeskanzler Olaf Scholz, auf der anderen Seite ein nicht enden wollendes Gefeilsche und hinhaltender Widerstand insbesondere linker SPD-Politiker um eine dauerhafte ausreichende finanzielle Ausstattung der Bundeswehr auch nach dem Ausschöpfen der 100-Milliarden-Euro Schuldenspritze für die Streitkräfte.
Doch nicht alle Probleme der Bundeswehr drehen sich allein ums Geld. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 kämpft die Truppe mit Personalmangel. Derzeit dienen 181.000 Soldaten in der Bundeswehr, deutlich weniger als die eigentlich geplanten 203.000. Als ein Grund für den Nachwuchsmangel wird der Umstand angesehen, daß ohne Wehrpflicht zu wenige junge Menschen mit der Bundeswehr in Kontakt kommen, um sich für eine längere Verpflichtung zu entschließen.
Kostenloser Führerschein als Anreiz für den Dienst in Oliv
Seit Monaten hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) daher die Fachleute in seinem Ministerium prüfen lassen, welche Möglichkeiten es gibt, die Wehrpflicht in Deutschland zumindest teilweise wieder einzuführen. Das Problem: Nachdem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, ist die dafür erforderliche Wehrverwaltung inklusive der Kreiswehrersatzämter mit deutscher Gründlichkeit abgewickelt worden. Eine wie auch immer geartete Neuauflage erfordert daher schon aus logistischen und organisatorischen Gründen einen immensen Kraftaufwand. Doch Pistorius sieht zu seinen Überlegungen für eine neue Form der Wehrpflicht angesichts der sicherheitspolitischen Lage in Europa keine Alternative: „Allen mal aus der Ausbildung von Wehrdienstleistenden oder anderen Soldatinnen und Soldaten“, sagte er.
In der vergangenen Wouß klar sein: Unsere Bundeswehr braucht eine Aufwuchsfähigkeit in der Reserve, und Reserve bildet sich nun mche hat Pistorius die Ergebnisse dieser Überlegungen dem Präsidium seiner Partei vorgestellt. Demnach sollen zunächst alle jungen Männer und Frauen eines Jahrgangs einen Musterungsfragebogen zugeschickt bekommen. Darin sollen sie unter anderem Auskunft über ihre Fitneß, Gesundheit und ihr prinzipielles Interesse an einem Dienst in der Bundeswehr geben.
Nach Angaben des Verteidigungsministers sei die Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens für die Männer verpflichtend und nicht freiwillig. Anders sieht es dagegen aus verfassungsrechtlichen Gründen bei den angeschriebenen Frauen aus, die das Grundgesetz vom Wehrdienst ausnimmt. Zwar wünscht sich Pistorius hier eine Änderung, doch für diese Legislaturperiode gilt dieses Vorhaben als nicht mehr realisierbar. Wenn junge Männer den Fragebogen nicht beantworten, soll es Sanktionen geben. Details dazu sind allerdings noch nicht bekannt.
Dagegen sickerte bereits durch, womit die Bundeswehr junge Menschen locken könnte: Demnach wird im Verteidigungsministerium darüber nachgedacht, daß junge Wehrpflichtige kostenlos ihren Führerschein machen könnten, einen erleichterten Zugang zu Studienfächern oder Rabatte bei der Rückzahlung von Studienkrediten sowie Sprachkurse erhalten könnten, berichtet der Spiegel.
In einem ersten Schritt plant Pistorius den Angaben zufolge mit rund 5.000 bis 10.000 Wehrdienstleistenden: „Ich bin mir sicher, daß wir diese Zahl mit Freiwilligen erreichen“, sagte er. Hintergrund für die angesichts von Jahrgangsstärken von rund 700.000 Jugendlichen vergleichsweise geringe Zahl sind strukturelle Probleme der Bundeswehr. Die Truppe ist derzeit schlicht nicht in der Lage, eine deutlich größere Zahl an Wehrpflichtigen aufzunehmen und vor allem auch auszubilden. Auch hier wurden die Strukturen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten drastisch reduziert.
Perspektivisch soll die Zahl der Wehrdienstleistenden nach den Plänen von Pistorius aber weiter steigen: „Sollten sich nicht genügend Freiwillige melden, werden wir auch junge Menschen zum Dienst verpflichten müssen.“ Das Wehrdienstmodell habe schließlich zum Ziel, die „Aufwuchsfähigkeit“ der Truppe zu gewährleisten. Die Bundeswehr braucht dringend hinreichend viele Wehrdienstleistende, um die Zahl der Reservisten für einen möglichen Verteidigungsfall zu erhöhen.
Auf ungeteilte Begeisterung sind Pistorius’ Pläne für eine neue Wehrpflicht bei seinen Genossen laut Medienberichten offenbar nicht gestoßen. Die Zeit berichtet unter Berufung auf Teilnehmer, daß in der Runde vor allem die Punkte Anklang fanden, in denen von „freiwillig“ die Rede war. „Nahm Pistorius hingegen das Wort ‘Pflicht’ in den Mund, war, wie ein Teilnehmer des Treffens berichtet, ‘wenig Zustimmung und viel Widerstand’ zu spüren und zu hören gewesen“, berichtet das Blatt.
Doch dem erfahrenen Verteidigungsminister dürfte schon vor der Präsidiumssitzung seiner Partei klar gewesen sein, daß die politische Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland jetzt gerade erst begonnen hat.