© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Chuchichäschtli, Hitlerkäfer und McCown
Die Zoologische Nomenklatur in Zürich folgt dem Zeitgeist, aber rückgängig gemacht wurde bislang noch nichts
Paul Leonhard

Chuchichäschtli nennt der Deutschschweizer sein Küchenkästchen. Auch Eidgenossen aus der französischen oder italienischen Schweiz haben ihre Probleme, während arabisch oder hebräisch sprechende Menschen sich einfacher mit dem „ch“ am Silbenanfang tun. Wissenschaftler der Uni Zürich (UZH) haben nun auch eine Tintenfischart „Chuchichaeschtli“ getauft, als sie bei seit Jahrzehnten in einem Schrank lagernden Versteinerungen entdeckten, daß es sich um eine neue Art handelt.

Ticinoteuthis chuchichaeschtli und der schweizerische Zungenbrecher sind damit für immer im Bernstein der Wissenschaft bewahrt. Schließlich ist die Nomenklatur zur wissenschaftlichen Benennung von Lebewesen in der Biologie konservativ: Nachträgliche Umbenennungen sind ausgeschlossen. Beginnend mit dem zweibändigem Werk „Systema Naturæ“, das der Schwede Carl von Linné 1758 veröffentlichte, gelten bei der Namensgebung die Internationalen Regeln für die Zoologische Nomenklatur (ICZN), nach denen sich der wissenschaftliche Tiername aus zwei Teilen, einem für die Gattung und einem für die Art, zusammensetzt.

Das ist ein Problem für Gläubige der „postkolonialen Theorie“. Denn der Dinosaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki wurde 1919 von Hans Virchow nach Paul von Lettow-Vorbeck, dem Schutztruppen-Kommandeur in Deutsch-Ostafrika, benannt. Ein nordafrikanischer Nachtfalter aus der Familie der Holzbohrer heißt seit 1927 Hypopta mussolinii.  Der Faschistenführer Benito Mussolini hatte Libyen damals zu italienischem Besitz erklärt. 1934 hatte Deutschland zwar keine Kolonien mehr, aber es wurde ein Fluginsekt aus der Karbonzeit Rochlingia hitleri genannt. Das Tier ist jedoch vor 300 Millionen Jahren ausgestorben.

Mehr Aufregung verursacht seit einem New York Times-Artikel jedoch Anophthalmus hitleri – ein 1932 entdeckter fünf Millimeter langer, augenloser brauner Laufkäfer, der in slowenischen Höhlen lebt. Den hat Oskar Scheibel, ein Motorenvertreter und Freizeit-Koleopterologe, in seiner Erstbeschreibung in den Entomologischen Blättern (6/1937) nach dem „Herrn Reichskanzler Adolf Hitler“ benannt, als „Ausdruck meiner Verehrung“, so der frühere österreichische Eisenbahningenieur. Nach dem Untergang des Großdeutschen Reiches gab es Umbennenungsversuche, aber das verhindern die ICZN-Regeln. Allerdings ist der Hitlerkäfer ein gefragtes Sammlerobjekt – und so in seinem Bestand bedroht, in der Natur wie in den Museen.

Die in Südkalifornien lebende Palpenmotte Neopalpa donaldtrumpi, die 2017 nach dem 45. US-Präsidenten benannt wurde, hat solche Sorgen noch nicht. Rhynchophanes mccownii, ein nordamerikanischer Dickschnabelvogel, ist allerdings zumindest seinen englischen Namen los: Die American Ornithological Society (AOS) machte 2020 aus McCown’s Longspur – bekannt nach dem Südstaaten-General John P. McCown – „Thick-billed Longspur“. In diesem Jahr sollen sechs weitere Vögel umbenannt werden. Neue Namensvorschläge werden noch bis 31. Mai entgegengenommen.

 americanornithology.org/about/english-bird-names-project