© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Das Ansehen ist stark beschädigt
Proteste und Austritte: Im Historikerverband rumort es
Matthias Bäkermann

Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) hat sich auf die Fahnen geschrieben, „die gesellschaftliche Relevanz der Geschichtswissenschaft zu stärken“ und dazu geschichtspolitische Kontroversen „moderieren“ zu wollen. Die dafür nötige Neutralität läßt der VHD aber in der Frage der pro-palästinensischen Protestcamps an Universitäten wie in Berlin wiederum vermissen. 

Die Kritik von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner an knapp hundert „Lehrenden der Berliner Hochschulen“, die sich nach Räumung eines antiisraelischen Protestcamps an der FU Berlin durch die Polizei offen mit den Demonstranten solidarisiert hatten, wertet der VHD in einer offiziellen Stellungnahme vom 14. Mai als „persönliche Diffamierung und pauschale Verurteilung von Wissenschaftler:innen“. „Wir verwahren uns dagegen, daß die politischen Auseinandersetzungen über den angemessenen Umgang mit Protest gegen den Krieg im Gazastreifen dazu genutzt werden, das Ansehen der Geschichtswissenschaften zu beschädigen“, schwurbelten die VHD-Sprecher. Dabei hatte Wegner nur „kein Verständnis“ für jene Dozenten bekundet, die Partei nehmen für die linksextremistischen und militant-palästinensischen Aktivisten, von denen auf dem Unigelände nicht nur Sachbeschädigungen und antisemitisches Gepöbel, sondern direkte Haßattacken und gewaltätige Übergriffe gegen jüdische Kommilitonen ausgingen. „Antisemitismus und Israelhaß sind aber keine Meinungsäußerungen, sondern Straftaten“, schrieb Wegner den „Lehrenden“ ins Stammbuch. 

Diese „entschiedene Positionierung“ des VHD dazu ging dem Würzburger Historiker Peter Hoeres nun zu weit. Am 21. Mai trat er öffentlichkeitswirksam mit einigen Kollegen und jüdischen Nachwuchswissenschaftlern aus dem Historikerverband aus. „Wir haben uns daran gewöhnt, daß der VHD immer wieder mit Resolutionen und politischen Meinungsbekundungen an die Öffentlichkeit tritt, von denen viele Mitglieder sich nicht repräsentiert sehen.“ Neu sei, daß der VHD jetzt offen jene in Schutz nähme, die „israelfeindliche und offen antisemitische Kundgebungen an deutschen Universitäten verteidigen“. Hoeres war bereits in der Vergangenheit öfter dadurch aufgefallen, den Verband zu kritisieren, weil er „Fachkompetenz für politische Zwecke funktionalisiert“ und sich stets einseitig positioniert. Diese Einseitigkeit sieht der Würzburger Professor nun abermals an den Tag gelegt. „Kein Wort über die Angriffe auf jüdische und israelische Studenten auch an deutschen Unis und die antisemitischen Untertöne antiisraelischer Stellungnahmen und Protestcamps“, kritisiert Hoeres auf X und ruft zur Gründung eines neuen Historikerverbandes auf, „so geht es nicht weiter!“ Ein kleiner Wermutstropfen offenbarte sich für Hoeres in den Tagen darauf. Viele Standesgenossen aus der Historikerzunft vermochten seinem Aufruf gar nicht mehr solidarisch zu folgen, weil sie schon lange aus dem noch etwa 3.000 Mitglieder starken VDH aufgrund seiner Verbandspolitik still und heimlich ausgetreten waren, darunter so prominente Historiker wie Egon Flaig oder Jörg Baberowski.