© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Kulturelle Aneignung des europäischen Antisemitismus
Arabischer Judenhaß

Manfred Sing, Islamwissenschaftler am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz, erkennt im Islam keinen „strukturellen Antijudaismus“. Jahrhunderte hindurch genossen Juden im islamischen Herrschaftsgebiet zwar keine Gleichberechtigung und mußten als „Schutzbefohlene“ eine Kopfsteuer entrichten, aber sie seien nicht systematisch entrechtet, verfolgt und getötet worden. Was nicht heiße, daß es „in Einzelfällen nicht auch zu Gewalttaten gekommen wäre“. Wenn arabische Gesellschaften heute weltweit das höchste Ausmaß an Antisemitismus aufweisen, deute dies also nicht auf eine lange islamische Tradition. Ewiger Haß auf Juden lasse sich aus dem Bild der Juden in Koran, Sunna und Prophetengeschichte nur „mit gewollter Einseitigkeit“ herleiten (Merkur, 5/2024). Darum müsse man die tieferliegende Ursache des Dauerkonflikts zwischen Israel und den Palästinensern nicht im arabischen, sondern im europäischen Antisemitismus suchen. Denn wie schon bei Vertreibungen von Juden im Jemen 1947 und im Irak zwischen 1948 und 1970, übernahmen palästinensische Akteure wie die Hamas europäische Zerrbilder von Juden, um sie als authentisch islamisch auszugeben. Entstanden sei kein spezifisch arabischer Antisemitismus, sondern nur ein Sammelsurium von Vorurteilen. (dg)   www.merkur-zeitschrift.de