© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Herabwürdigung der historischen Errungenschaften der Republik
Altbundeskanzler im Visier

Selbst Konrad Adenauer, Gründungskanzler der Bonner Republik, geriet in die Mühlen hiesiger Bewältigungsindustrie. 2021 listete ein von der Berliner Landesstelle für „Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung“ erstelltes „Dossier zu Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen“ den Wilmersdorfer Adenauerplatz als Kandidaten für eine „potentielle Umbenennung“ auf, weil sich der 1933 politisch kaltgestellte NS-Gegner nach 1949 „antisemitisch“ geäußert haben soll. Die Landesstelle plädierte letztlich zwar nicht für einen Namenswechsel, wohl aber für „weitere Forschung“. Erinnerungskulturell ähnlich perfide wirkt für den Politologen Johannes Heesch, daß die 2016 von der SPD vorgeschlagene Umbenennung der Hindenburgstraße in Hannover in Helmut-Schmidt-Straße bis heute am Widerstand von Genossen scheitert, die erst das Verhalten des fünften Bundeskanzlers als Wehrmachtsoffizier prüfen möchten. Für Heesch weisen beide Fälle symptomatisch auf eine in der Mitte der Gesellschaft etablierte „Herabwürdigung der historischen Errungenschaften“ der Bundesrepublik (Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2024). Da sich Geschichte vor allem über Persönlichkeiten vermittle, nähre es Demokratieverdrossenheit, die Kanzler der Republik „leichtfertig und geschichtsvergessen“ zu demontieren. (ob)

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