© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Von den Zumutungen der Zeit fernhalten
Vom Wahren, Schönen, Guten: Nachruf auf den vorige Woche verstorbenen Historiker und Publizisten Eberhard Straub
Thorsten Thaler

In gegenwärtigen Zeiten der massenmedialen Verbreitung von Aufgeregtheiten aller Art, zumal des Niederen und Vulgären, zählt das Wahre, Schöne, Gute kaum mehr. Noch im 19. Jahrhundert erleuchtete dieses auf das antike Griechenland verweisende ganzheitliche Zusammenwirken dreier Ideen als Fixstern den kulturellen und künstlerischen Horizont, bevor die Weltläufte ihn verdunkelten. So notierte die im vorigen Jahr verstorbene Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff 2019 in dem Schweizer Monatsmagazin bref: „Die Zeit, in der die Trias vom Guten, Wahren und Schönen als Idealbild in einigen Teilen Europas ihre Triumphe feiern konnte, ist allerdings gründlich vergangen. (…) Ein Vertrauen darin, daß wir uns auf die vernünftige, zum Guten neigende Bild­samkeit des Menschen, gepaart mit einem Schönheits­begehren, das zarten Sinn bekundet, verlassen könnten, ist ge­­schwunden.“ 

Einer, der sich mit diesem Befund partout nicht abfinden mochte, war der Historiker und Publizist Eberhard Straub. Er gehörte zu jenen freigeistigen Denkern, die auf den Spuren von Sokrates sich und andere stets fragten, ob etwas wahr sei, ob es gut sei und ob es das richtige Maß habe, es wichtig und notwendig sei. Deswegen interessierte sich Straub in seinen Büchern, Essays, Porträts und Rezensionen vorzugsweise für das zeitlos Wahre, Schöne, Gute. Die wechselnden Tagesaufgeregtheiten nahm er zwar notgedrungen zur Kenntnis und tauschte sich darüber im persönlichen Gespräch auch gern kritisch aus. Aber in seinem publizistischen Werk kamen sie, wenn überhaupt, nur am Rande und allenfalls als Hintergrundfolie für tiefergehende, zumeist historische Reflexionen vor.

Das Interesse dafür wurde ihm praktisch in die Wiege gelegt. Sein Vater war der Althistoriker Johannes Straub, der in Erlangen und dann bis zu seiner Emeritierung in Bonn lehrte. Straub junior, 1940 in Berlin geboren, studierte Geschichte, Alte Geschichte, Kunstgeschichte sowie Archäologie in Bonn, München, Wien und Turin. An der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde er mit einer Dissertation über „Die höfischen Feste in der Münchner Residenz vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ summa cum laude zum Dr. phil. promoviert, und ebendort schloß er 1977 auch das Habilitationsverfahren mit der Arbeit „Spaniens Kampf um seine Friedensordnung in Europa zwischen 1617 und 1635“ ab.

Anschließend arbeitete er bis 1986 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er häufig mit luziden Beiträgen die legendäre Tiefdruckbeilage „Bilder und Zeiten“ bereicherte. Nach Zwischenstationen bei der Stuttgarter Zeitung und für wenige Monate bei der Welt leitete er von 1991 an die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Essen und gab die Zeitschrift Wirtschaft und Wissenschaft heraus. Seit 1998 war er als freier Journalist tätig, unter anderem für die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, die Berliner Zeitung und auch für die JUNGE FREIHEIT. Sein erster Text hier erschien 2003, ein Geburtstagsartikel für den Carl-Schmitt-Experten Günter Maschke.

In diese Nullerjahre fiel auch Straubs höchste Produktionsdichte an Buchtiteln. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen aus dieser Zeit gehören neben zwei Büchern über die preußische Geschichte: „Albert Ballin. Der Reeder des Kaisers“ (2001), „Vom Nichtstun. Leben in einer Welt ohne Arbeit“ (2004), „Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit (2005), „Die Furtwänglers. Geschichte einer deutschen Familie“ (2007), „Wilhelm II. in der Zeit seiner Politik. Die Erfindung des Reichs aus dem Geist der Moderne“ (2008), „Die Tyrannei der Werte“ (2010), „Wagner und Verdi“ (2012), eine Doppelbiographie anläßlich des 200. Geburtstages der beiden Komponisten und zugleich ein Jahrhundertporträt, sowie „Der Wiener Kongreß. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (2014). Zuletzt erschien 2021 in der „Exil“-Reihe der Edition Buchhaus Loschwitz Straubs Textsammlung „Europa. Ein ungesicherter Begriff“.

Die Bandbreite dieses Œuvres spiegelt nicht nur die Belesenheit eines Bildungsbürgers alter Schule, sondern auch Straubs Verwurzelung in der deutschen und europäischen Geistesgeschichte; die Zeit nannte ihn einmal den „Abendlanddenker“.

Eberhard Straub, der von seinen Feuilletonkollegen wahlweise als „Liberaler“, „Romantiker“ oder „konservativer Anarchist“ (Ijoma Mangold) charakterisiert wurde, starb am 23. Mai dieses Jahres in seiner Berliner Wohnung im Alter von 83 Jahren. Mehrfach hatte er sich zuletzt in seinen Texten für diese Zeitung über die Freiheit, die Würde und, ja, auch das Glück des Menschen eingelassen. Danach gelangt zur Freiheit vornehmlich, wer es versteht, sich fern vom Lärm der aufgeregten Zeit und ihrer Geschäftigkeit zu halten (JF 12/24). Zuvörderst komme es auf Herzensbildung an und „einen inneren Frieden, der die Seele davor bewahrt, vom Strudel des Nichtigen überwältigt zu werden“ (JF 12/23). Auch in diesem weisen Ratschlag besteht Straubs Vermächtnis.

Foto: Eberhard Straub (1940–2024)