Die Stimmung ist schlecht, als Miguel Ángel López Borrego in Essen die Bühne besteigt, und als sich der Thyssenkrupp-Chef an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ wendet, kommt es zum Eklat: „Du bist kein Kollege“, halt es ihm entgegen. 4.500 Arbeiter ließen ihrem Frust freien Lauf. Der frühere Siemens-Manager hält dagegen und erklärt die Notwendigkeit seines Deals: Um die von der Politik verlangte „grüne Transformation“ voranzutreiben, brauche man Milliarden Euro und einen strategischen Partner, einen Investor.
Der Anlagenbau- und Rüstungskonzern, der Deutschlands größter Stahlhersteller ist, hat im ersten Halbjahr bei 17,2 Milliarden Euro Umsatz einen Verlust von 392 Millionen Euro eingefahren – im Vorjahreszeitraum waren es bei 19,1 Milliarden Euro Umsatz 147 Millionen Euro Verlust. „Wir wollen einen Stahl, der nachhaltig Geld verdient“, sagte López anläßlich der Vorlage der Halbjahreszahlen und kündigte an: „Dafür sind tiefgreifende Veränderungen und zum Teil schmerzhafte Einschnitte nötig.“ Derzeit sei die Nachfrage zu gering, die Kosten seien zu hoch. Billigimporte aus Asien machten Thyssenkrupp das Leben schwer.
„Faires und demokratisches Miteinander wurde begraben“
Die konjunkturanfällige Stahlsparte steht seit Jahren auf dem Prüfstand. Der von Siegfried Russwurm – seit 2021 Chef des Industrieverbands BDI – geführte Aufsichtsrat stimmte daher vorige Woche für ein Stahl-Joint-Venture mit der Energieholding EP Corporate Group (EPCG) des tschechischen Multimilliardärs Daniel Křetínský. Die Entscheidung sei mit dem Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter getroffen worden, teilte der Konzern nach einer Sitzung des Kontrollgremiums mit. Die EPCG soll 20 Prozent der Anteile an der Stahlsparte übernehmen. Und perspektivisch soll die Křetínský-Beteiligung auf 50 Prozent aufgestockt und die Stahlsparte verselbständigt werden.
Arbeitnehmervertreter fürchten daher einen massiven Stellenabbau – was der Deutsch-Spanier López bestätigte: „Ohne Einschnitte wird es nicht gehen.“ Dabei gehörte es bei Thyssenkrupp zur Firmentradition, daß die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat nicht niedergestimmt werden. „Mit der Doppelstimme von Herrn Russwurm sind die letzten Hoffnungen auf ein faires, demokratisches Miteinander begraben worden“, konstatiert Tekin Nasikkol, gelernter Schmelzschweißer, studierter BWLer und seit 2018 Chef des Konzernbetriebsrats und so auch Aufsichtsratsmitglied. „So etwas hat es bei Thyssenkrupp noch nie gegeben. Jetzt sind wir im Konfliktmodus“, erklärte IG-Metall-Vizechef Jürgen Kerner. Russwurm hatte 2023 erstmals von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch gemacht und eine Vorstandserweiterung durchgeboxt.
Doch SPD-Genossinnen – die IG Metall-Chefin Christiane Benner und DGB-Chefin Yasmin Fahimi – stehen hinter der Ampel- und EU-Politik „für eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft“. Und noch beschäftigt Thyssenkrupp-Stahlsparte 26.000 Mitarbeiter, 13.0000 davon in Duisburg. Doch ihre Zukunft hängt in der Schwebe. Pläne für einen Börsengang scheiterten ebenso wie eine Beteiligung mit Tata Steel Europe oder ein Verkauf an den britischen Konkurrenten Liberty Steel. Die Thyssenkrupp Steel ist auf Kunden aus der Autoindustrie fokussiert. Mit dem Verkauf an EPCG kappten Russwurm und López die Leinen zwischen der Thyssenkrupp AG und der Stahlsparte.
„Die dadurch entstehenden Risiken sind nach unserer Überzeugung völlig ungeklärt“, warnte Kerner. Die IG Metall befürchtet, daß durch den Křetínský-Einstieg der Beherrschungsvertrag zwischen Thyssenkrupp und der Stahltochter gekündigt werden könnte. Dieser sieht vor, daß der Mutterkonzern für den Finanzbedarf der Stahlsparte aufkommt. Sollte der Vertrag aufgelöst werden, müßten für die Verluste der Tochter weder der Mutterkonzern noch Křetínský aufkommen.
„Windrad aus grünem Stahl,Fundament aus grünem Zement“
Bei der Partnerschaft soll es angeblich vor allem um günstige Energielieferungen gehen. Dabei produziert der Konzern in seiner Stahlhütte in Duisburg ausreichend eigenen Strom. Doch die Anlagen laufen defizitär, weil deutscher Strom schlicht zu teuer ist und daher die Aufträge ausbleiben. Thyssenkrupp Steel muß daher zukaufen, was die Stahlproduktion wiederum verteuert. Křetínskýs Energiekonzern EPH übernahm zwar 2016 die Lausitzer Braunkohletagebaue und Kraftwerke von Vattenfall – doch die dürfen laut dem 2019 beschlossenen deutschen Kohleausstieg maximal bis 2038 betrieben werden. Doch Křetínský habe Thyssenkrupp versprochen, Wind- und Solarkraftparks mit großem Produktionsvolumen zu bauen.
Das dürfte Robert Habeck freuen. Denn der will, daß alle Grundstoffe künftig „klimaneutral“ hergestellt werden: „Unsere Vision ist das Windrad aus grünem Stahl, das auf einem Fundament aus grünem Zement fußt, und das E-Auto, das nicht nur CO₂-frei fährt, sondern auch aus grünem Stahl hergestellt wurde“, so der grüne Wirtschaftsminister. „Das funktioniert allerdings nur, wenn Angebot und Nachfrage nach klimaneutralen Produkten miteinander Schritt halten.“ Sprich: Es gibt einerseits milliardenschwere Subventionen und andererseits „grüne“ Quotenregelungen bei öffentlichen Bau- und Infrastrukturmaßnahmen.
Daß die Transformation kein Spaziergang, sondern ein Marathon wird, mußte auch Felix Banaszak, 34jähriger Duisburger Grünen-Bundestagsabgeordneter, Leiter der Projektgruppe „Klimaneutral Wirtschaften“ und Berichterstatter für die Stahlindustrie im Wirtschaftsausschuß, einräumen. Ob Habecks teurer Grünstahl, der statt traditionell mit Kohle oder Erdgas ab 2026 mittels Wasserstoff-Direktreduktion hergestellt werden soll, auch außerhalb des Staatssektors Abnehmer finden wird, ist fraglich. Privatunternehmen sind letztlich – trotz der offiziell propagierten „Nachhaltigkeitsversprechen“ (ESG-Kriterien) – gewinnorientiert. Für den Bau einer Pilotanlage zur grünen Stahlproduktion wurden Thyssenkrupp dennoch schon zwei Milliarden Euro an Subventionen von der EU genehmigt.
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