© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Eine wachsende Kluft
Männer und Frauen wählen immer unterschiedlicher: Die Grünen werden viel häufiger von Frauen gewählt. Die AfD- und FDP-Wählerschaft sind dagegen männlich dominiert. Wie kommt es zu dieser recht jungen politischen Spaltung?
Mathias Pellack

Männer sind rechts und Frauen links. Was heute schon fast wie eine Binse klingt, ist eigentlich ein ziemlich neues Phänomen, das auch nicht einmal in allen Zeiten oder Nationen zutrifft. Zu alledem: In der deutschen Jugend scheint es sich immer noch weiter zu verstärken.

Genau andersherum verhielt es sich in der Weimarer Zeit – das Frauenwahlrecht war gerade erst eingeführt –, da ließen sich weibliche Bürger eher von konservativen, nationalen und religiösen Parteien zur Stimmabgabe bewegen. Die Forschung nennt das „traditionelle Gender-Gap“ oder auf deutsch: die althergebrachte Geschlechterkluft. Linke Parteien konnten beim zarten Geschlecht weniger punkten, obwohl sie es waren, die die Wahlrechte der Frauen propagierten. So waren die Kommunisten der KPD oft die Partei mit dem größten Männeranteil unter ihren Wählern.

Auch die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) konnte zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter den Männern mehr Popularität gewinnen als bei Frauen. Die Partei bezog lange eine klare Stellung gegen religiöse Katholiken, was Soziologen und Politikwissenschaftlern eine Erklärung bietet. Um 1930/1933, als die Partei Hitlers ihre antikirchliche Rhetorik abschwächte und gezielt Frauen ansprach, fand sie jedoch eine ungefähr geschlechterausgeglichene Wähler­unterstützung.

Viele westliche Staaten rückten seit 1990 nach links

In der Bundesrepublik sollte sich das alte Muster fortsetzen. Frauen wählten eher die konservativen, nationalen und religiöseren Parteien wie etwa die Union. Männer fanden sich dagegen eher bei der SPD oder der FDP wieder, wie eine Studie aller Bundestagswahlergebnisse seit 1953 zeigt. Diesen Trend kann der Soziologe Ansgar Hudde an der Uni Köln bis 1969 klar nachzeichnen (siehe Grafik).

Erst ab der Wahl 1972 und nochmal verstärkt seit den neunziger Jahren haben sich Frauen in Deutschland tendenziell mehr nach links orientiert, als Männer das im gleichen Zeitraum taten. Diese Entwicklung steht im Einklang mit dem allgemeinen Muster in den entwicklten westlichen Gesellschaften.

Großangelegte Befragungen zur ideologischen Selbstverortung zeigen, daß Deutschland das durchschnittliche Muster der westlichen Staaten gut abbildet. Danach sind es vor allem die Frauen, die sich seit den Neunzigern ideologisch stärker nach links orientieren als Männer. Während sie sich 1972 auf einer Links-rechts-Skala von 1 bis 10 (1 ist links, 10 ist rechts) bei etwa sechs einordneten und Männer bei 5,7 sank der Wert bis zum Jahr 2000 auf 5,1 bei den Männern und sogar 4,8 unter den Frauen.

Unter den meisten westlichen Staaten läßt sich das Muster wiederfinden. Nur die Bevölkerungen weniger Nationen sind seit den 1990er nach rechts gewandert. Hierzu zählen Italien, Ungarn, Österreich, Norwegen, Israel oder die USA.

Einige Ausnahmen von der modernen Regel, wonach Männer rechts und Frauen links denken und fühlen, bilden heute Staaten mit einer stärker religiösen Bevölkerung wie Spanien, Portugal, Polen, Litauen oder die Türkei. Hier stellen sich Frauen in Umfragen bis heute als rechter dar als ihre männlichen Mitbürger. Neben der in vielen Ländern der westlichen Welt abnehmenden Religiosität diskutiert die Wissenschaft noch andere Erklärungen auf die Frage, warum weibliche Wähler nach links abwandern – und zwar oftmals stärker als die Männer es tun.

Ein weiterer Grund könnte die sich verändernde Eingliederung in den Arbeitsmarkt sein. So könnten Parteien wie die SPD, die sich mehr für Arbeitnehmerrechte ausspricht, oder die FDP, die sich für die Verringerung der Steuerlast stark macht, für Frauen interessanter werden, spekuliert der Soziologe Hudde. Frauen verändern hier ihre Perspektive – weg von der Gemeinschaft der Familie hin zu individualistischen Ansichten, die sie im Berufsleben stärken.

Allerdings schlägt sich der Sinneswandel laut den Daten erst in den Wahlen von 2017 wieder. Hudde meint: „Die eine, ideal passende Erklärung habe ich dafür nicht. Was auffällt: Frauen wählen seit 2017 eher (…) Parteien, die sich besonders für Gleichstellung und Feminismus stark machen.“

Daß es sich bei der Entwicklung schlicht um einen Generationenwechsel handelt, schließt Hudde allerdings aus. Die heutige Geschlechterkluft unter Deutschlands Wählern wurde maßgeblich durch den Aufstieg der AfD (Alternative für Deutschland) zwischen 2013 und 2017 mitgeformt. Die AfD hatte ihren größten Wahlerfolg bisher im Jahr 2017. Die Popularität der Partei bei männlichen Wählern war der größte Einzelbeitrag zur Entstehung der modernen Geschlechterkluft.

Bei der Bundestagswahl 2021 weitete sich die Geschlechterkluft nochmals – auf eine bisher ungekannte Größe. Vor allem bei den jüngsten Wählern standen sich linke Frauen und rechte Männer in großem Ungleichgewicht gegenüber. Interessanterweise war der Beitrag der AfD 2021 zu dieser Lücke geringer. Jüngere Männer wählten demnach am häufigsten die FDP, während jüngere Frauen am häufigsten die Grünen wählen.

Tatsächlich sind bei den jungen Wählern alle drei linksgerichteten Parteien – die Linke, die Grünen und die Sozialdemokraten – bei Frauen deutlich beliebter, was so bei keiner vorherigen Wahl der Fall war.

Unter den jüngsten Wählern gibt es ein starkes Ungleichgewicht

Die FDP stufen die Forscher marktwirtschaftlich als weiter rechts stehend ein, aber in soziokulturellen Aspekten eher mittig. Bei der AfD verhält es sich genau andersherum. In den Wahlen von 2017 und 2021, als die FDP fast 20 beziehungsweise sogar über 30 Prozent der Stimmen der jüngsten Männer erhielt, konzentrierte sich die Partei nicht auf soziokulturelle Themen, sondern betonte wirtschaftlich liberale Positionen wie niedrigere Steuern und Investitionen in Bildung, Unternehmertum und Digitalisierung.

Gespiegelt wird das auf der Linken von der Partei die Linke und den Grünen. Die Forscher werten die Grünen wirtschaftlich mittiger und soziokulturell extremer als „Die Linke“. Wer nun erwartet, daß „Die Linke“ generell ein Frauenmagnet ist, der geht fehl. Denn tatsächlich wählten bis 2013 deutlich mehr Männer die Linkspartei als dies Frauen taten. Bei der Wahl 2021 näherte sich die wirtschaftlich extreme linke Partei dem Gleichgewicht zwischen beiden Geschlechtern. Mit der Ausnahme unter den jüngsten Wählern.

Linken-Wähler der Altersgruppe der damals 18- bis 24jährigen waren zu 30 Prozent häufiger Frauen als Männer. Unter Grünen in der Altersgruppe waren mit 40 Prozent schon fast zwei von drei Wählern weiblich.

Stärker noch war das Ungleichgewicht auf der rechten Seite mit Werten von 55 Prozent mehr männlicher Wählerschaft bei den Liberalen und knapp über 40 Prozent Männerüberschuß bei der AfD. Die aktuelle Jugendstudie sieht voraus, daß dieser Trend nach rechts sich noch weiter verfestigen könnte. Hier gaben nun 22 Prozent der 14- bis 29jährigen an, künftig AfD wählen zu wollen und nur noch acht Prozent FDP. 2022 waren es neun Prozent AfD und 19 Prozent FDP. Gleichzeitig nahm aber auch die Popularität der SPD, der Linken und der Grünen ab.

Deren Entwicklung in den kommenden Jahren wird die Geschlechterkluft weiter mitbestimmen. Zu Beginn ihrer Wahlteilnahmen im Jahr 1976 hatten sie – die anderen Parteien hatten fast keine Geschlechterkluft – eine extrem männlich dominierte Wählerschaft. Diese schrumpfte von Wahl zu Wahl. Erstmals im Jahr 1990 waren etwas mehr Frauen unter den Grünen-Wählern. Dieser Trend hielt bis 2017, wo dann unter allen Altersgruppen auf fünf männliche Wähler sieben weibliche kamen.

Ob das Wählerbündnis Sahra Wagenknecht einem Geschlecht mehr zusagt, werden die künftigen Wahlen zeigen. Angesichts der sich selbst marginalisierenden Linken und FDP werden wohl vor allem die AfD und die Grünen diesen Kampf der Geschlechter unter sich ausmachen. Union und SPD werden dabei wohl nur zuschauen.