Als am Mittwoch vergangener Woche gegen Mittag die lang erwartete Pressemitteilung in den E-Mail-Postfächern der Journalisten und vieler Parteimitglieder landet, liegen turbulente Stunden hinter der AfD-Führung. Was dann im „Statement der Bundessprecher der Alternative für Deutschland zum weiteren Verlauf des EU-Wahlkampfs“ steht, ist allerdings kaum noch überraschend. Schließlich waren die wichtigsten Entscheidungen bereits an die Öffentlichkeit gesickert, noch während die Parteispitze sich – wieder einmal – in einer Krisensitzung mit ihrem EU-Spitzenpersonal beschäftigt. „Im Ergebnis wurde ein massiver Schaden für die Partei im laufenden Wahlkampf festgestellt“, teilen die Parteisprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel mit. Doch der Satz endet dort nicht. Für das katastrophale Außenbild habe, so geht es wenig diplomatisch weiter, „der Spitzenkandidat den Vorwand geliefert“. Also Maximilian Krah.
Daß der seinen Posten im Bundesvorstand mit sofortiger Wirkung aufgibt und „an keinen weiteren Wahlkampfveranstaltungen teilnehmen“ wird, ist zu diesem Zeitpunkt längst bekannt. Dieser „konsequente Rückzug aus der Öffentlichkeit“ wurde, so Weidel und Chrupalla, „mehrheitlich begrüßt“. Also nicht einstimmig. Doch das sind Details, die kaum noch jemanden in der Partei interessieren.
Hintergrund des Streits ist ein Interview Krahs mit dem italienischen Massenblatt La Repubblica. Anstoß erregt dabei vor allen eine Aussage: „Ich werde nie sagen, daß jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Krimineller war.“ Das ist an sich inhaltlich und historisch eine Binse. Ähnlich hatten sich auch politische Gründerväter der Bundesrepublik wie Konrad Adenauer (CDU) oder Kurt Schumacher (SPD) geäußert. Und wer würde den Nobelpreisträger Günter Grass schon pauschal als Verbrecher abstempeln? Doch bei Deutschlands Nachbarn, zumal in Italien oder Frankreich, ist die SS denkbar schlecht beleumundet. Jemand wie Krah, der so sehr mit seiner guten internationalen Vernetzung und Weltläufigkeit kokettiert, hätte das wissen können, ist man sich in der Partei sicher. Nicht nur im Lager seiner Gegner.
„Wir arbeiten rund um die Uhr für die Tonne“
Es ist also der eine Skandal zuviel. Schon länger gilt das Verhältnis zwischen Krah auf der einen Seite und der großen Mehrheit im Bundesvorstand um Weidel und Chrupalla als zerrüttet. Schon als ein enger Mitarbeiter Krahs Ende April wegen Spionageverdachts für China im Auftrag des Generalbundesanwalts verhaftet wird, fühlen sich manche in der Parteispitze hintergangen. Denn: Gerüchte über einen arg engen Draht des gebürtigen Chinesen zum kommunistischen Regime der Volksrepublik gab es bereits seit längerem. Krah tat die Kritik lange als rassistisch ab.
Nach einigen Tagen trennte er sich von seinem langjährigen Mitarbeiter, der sich zuvor bereits diversen deutschen Geheimdiensten angedient hatte (JF 19/24). Von Selbstkritik allerdings war wenig zu hören. Der Bundesvorstand wollte Krah an die kurze Leine nehmen. Riet ihm dringend, einige Zeit auf Auftritte zu verzichten. Doch der Dresdner, der noch 2016 ein Bundestagsmandat auf dem Ticket der sächsischen CDU angestrebt hatte, drehte dann erst richtig auf. In Bayern ließ er sich als „Mad Max“ in einem teuren Sportwagen protzig von der versammelten Presselandschaft abbilden. Im AfD-Bundesvorstand sorgte das nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT für regelrechte Fremdscham.
Die Befürchtung: Viele AfD-Wähler – insbesondere im Osten –, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen, könnten angesichts der Tatsache, daß Krah nicht wenig Steuergeld kassiert, irritiert sein. Fast 11.000 Euro erhält ein EU-Abgeordneter als Grundgehalt. Hinzu kommen allerlei Auslagen, Reisekosten und Zulagen. 350 Euro etwa für jeden Sitzungstag in Straßburg oder Brüssel. Das läppert sich. Seinen Spitznamen „Schampus-Maxe“ geht auf seinen in Brüssel zelebrierten Lebensstil zurück.
Daß er dann vor kurzem in einem bekannten Café im Berliner Regierungsviertel hintereinander mehreren Medien – darunter dem Nordkurier, dem christlichen Portal „Corrigenda“ und eben auch La Repubblica – Interviews gibt, wird als Widerspruch zur selbsterklärten medialen Zurückhaltung aufgefaßt. Aus Kreisen des Bundesvorstands – kaum ein Politiker will angesichts der angespannten Stimmung in der Partei beim Namen genannt werden – heißt es, all das sei nicht abgesprochen gewesen. Man fühle sich wieder einmal übertölpelt. „Wir arbeiten rund um die Uhr für die Tonne, während der Rest der Partei wie das Kaninchen vor der Schlange sitzt und nur noch kompensiert, was dieser Irre anrichtet“, sagte ein Funktionär.
An der Parteispitze ahnte man da schon, was wenig später Gewißheit ist: daß die AfD-Delegation in Brüssel aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) ausgeschlossen wird (siehe Seite 9). Parteichefin Alice Weidel hatte noch versucht, in einem Telefonat mit dem Vorsitzenden der österreichischen Partner-Partei FPÖ, Herbert Kickl, einen Schlichtungsversuch zu unternehmen. Vergebens. Schon vor dem offiziellen Rauswurf wird der Vertreter der AfD bei einer Veranstaltung der ID-Fraktion in Prag ausgeladen.
Auch der Vorstoß der Delegationsleiterin der AfD im EU-Parlament, Christine Anderson, einen Ausschluß aller AfD-Politiker dadurch zu verhindern, daß stattdessen der Rauswurf Krahs aus der Fraktion beantragt wird, scheiterte. Sein Repubblica-Interview war für die Vorsitzende des französischen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Davor waren es die Unklarheiten im Bezug auf den Begriff „Remigration“ und – bereits länger zurückliegend – die Tatsache, daß Krah einen Mitarbeiter beschäftigte, den der RN kurz zuvor rausgeworfen hatte. Und dann war da noch die Anfrage einiger AfD-Bundestagsabgeordneten zur völkerrechtlichen Anerkennung des französischen Übersee-Departements Mayotte – einer RN-Hochburg –, der die Grande Dame der französischen Rechten empört hatte (und nebenbei auch in der AfD-Fraktion einiges Kopfschütteln auslöste).
In einem Rundfunkinterview schrieb Le Pen der AfD ins Stammbuch, sie sei „eine Partei, die nicht geführt wird“. Ähnliches hatten auch Mitglieder der so kritisierten AfD selbst schon häufiger kritisiert. Auch im Zusammenhang mit der Spitzenkandidatur für das Europaparlament. Da habe die Parteispitze versäumt, ein eigenes Kandidatentableau ins Rennen zu schicken. Kenner der Partei merken dann jedoch einschränkend an, daß zuviel Führung und Vorgaben von oben in den Reihen der für „Basisdemokratie“ schwärmenden Delegierten auch das genaue Gegenteil – ein trotziges Aufbegehren – auslösen könnten.
Klar war bisher: Ein gutes Ergebnis bei der EU-Wahl würde der AfD Rückenwind für die wichtigen Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern verleihen. Und zuvor für einen ruhigen und friedlichen Parteitag garantieren, der Ende Juni in Essen stattfindet. Gute Ergebnisse sorgten stets dafür, daß innerparteilicher Streit zurückgestellt wird. Jetzt werden die Karten neu gemischt. An die noch zum Jahreswechsel als Ziel ausgegebenen 22 Prozent glaubt kaum noch jemand. 15 Prozent würden nun schon die meisten zufriedenstellen.
Gegen wen wird sich der Frust entladen, wenn das Ergebnis schlecht ausfällt? Viele Strippenzieher, mit denen diese Zeitung in den vergangenen Tagen gesprochen hat, zucken ratlos mit den Schultern. „Es wird eine Wundertüte.“ Zuletzt einflußreich, auch auf dem Aufstellungsparteitag zur EU-Wahl, ist ein Netzwerk um den Abgeordneten Sebastian Münzenmaier. Er gilt als einer, der mit anderen jungen Abgeordneten die AfD professionalisieren will.
Darum dürfte es in Essen dann eben doch nicht gehen. Ein Funktionär faßt die Situation zusammen: „Die Stimmung ist am Tiefpunkt.“ Und das dürfte sich so schnell nicht ändern. Der Rückzug von Krah aus dem Bundesvorstand und aus dem Wahlkampf stellt nicht alle zufrieden.
Nach Informationen der jungen freiheit beantragte der Landesverband Hessen, Krah die Mitgliedsrechte vorläufig zu entziehen und Parteiordnungsmaßnahmen einzuleiten. Unterstützung bekam Hessen laut Parteikreisen dabei von den mächtigen Landesverbänden aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Ausdrücklich hinter Krah wollte sich dem Vernehmen nach keiner der Landesverbände stellen – auch nicht der sächsische. Und dann meldete sich noch jemand zu Wort, der ganz nahe an Chrupalla ist. Jemand, den viele in der Partei als einen der wenigen echten Freunde des Parteichefs beschreiben und der für den Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl arbeitet: der ehemalige Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann. Sie treffen sich regelmäßig in einer Pizza-Runde. Sein Wort, obwohl nicht mehr Mitglied der Partei, hat Gewicht. „Den Wähler interessieren die hier geführten historischen NS-Einordnungen nicht. Ja, sie schrecken ab, da unsere geschichtliche Bildung beim Wähler mehrheitlich nicht vorhanden ist. Wir waren uns immer einig, daß es nach hinten losgeht, solche Themen, noch dazu im Wahlkampf, öffentlich zu diskutieren“, heißt es in einer Nachricht Pasemanns, die sich in der Partei verbreitet. „Insofern sollten wir uns nunmehr wieder dem Wahlkampf widmen und versuchen zu retten, was zu retten ist.“ Krahs Rücktritt habe den Weg vorgegeben: „Die Partei zuerst!“
Bei einer Wahlkampfveranstaltung der AfD am vergangenen Samstag im nordrhein-westfälischen Marl – in Abwesenheit der Kandidaten für die Listenplätze 1 und 2 – appellierte die Führung, aus der Not eine Tugend zu machen. „Diese Woche, die wir hinter uns haben, war keine gute Woche. Wir sind in Turbulenzen geraten mit einem unguten Ausgang“, sagte Alice Weidel. Doch die AfD könne gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. „Solche Tage, solche Momente, wo es nicht so gut läuft, sind immer auch gleichzeitig eine Chance, Lehren zu ziehen, um weiter zu wachsen und uns weiter zu professionalisieren“, rief sie den mehreren hundert Anhängern zu.
Tatsächlich hat sich die Kernwählerschaft der AfD bei mehr als zehn Prozent eingependelt. Und diese feste Wählerbasis hat sich auch nach der Medienkampagne über das angebliche Potsdamer Geheimtreffen nicht stark verkleinert. In der jüngsten Insa-Umfrage lag die Partei am Wochenende bei Werten von 17 Prozent für die EU-Wahl. Aus der Bundesspitze hatte es schon vor den jüngsten Affären um seine Person geheißen, Krah müsse sich am Ergebnis der Wahl messen lassen.
Folgt nun auch der Parteiausschluß?
Den Ausschluß der AfD aus der ID-Fraktion nahmen die beiden Bundesvorsitzenden Weidel und Chrupalla „zur Kenntnis“. Dennoch, hieß es in einer Mitteilung, sehe man optimistisch auf den Wahlabend und die darauffolgenden Tage. „Die AfD wird selbstverständlich anstreben, mit einer verstärkten Delegation, für eine schlagkräftige Fraktion im Europäischen Parlament zu sorgen“. Die Zusammenarbeit mit nahestehenden Parteien sei unerläßlich, um politisch wirksam zu sein. „Wir sind daher zuversichtlich, auch in der neuen Legislaturperiode verläßliche Partner an unserer Seite zu haben“.
Da schwingt eine gute Portion Zweckoptimismus mit. Denn da gibt es ja noch die in Paris ansässige Partei Identität und Demokratie. Auf dem Parteitag voriges Jahr in Magdeburg hatte die AfD ihren Beitritt zur ID-Partei beschlossen – nicht zuletzt auf eindringliches Werben Weidels hin; ohne zähe Debatte und mit satter Mehrheit. Ein Argument seinerzeit: Die Mitgliedschaft in einem solchen europäischen Parteiverbund könne nützlich sein, sollte tatsächlich ein AfD-Verbot drohen. Mittlerweile verkehrt sich dies ins Gegenteil, wenn es in Deutschland heißt, daß sich nun sogar europäische „Rechtspopulisten“ von der AfD abwendeten. Der Triumph für die Vorsitzende wäre dahin, wenn nach dem Fraktions- auch der Parteiausschluß folgen würde.
Aus dem Umfeld des AfD-Vorstands hört man, es gebe zwar – insbesondere beim flämischen Vlaams Belang – Funktionäre, die sich für einen Verbleib der AfD aussprächen. Angesichts der derzeitigen Haltung des ungleich bedeutenderen RN sei perspektivisch damit zu rechnen, daß es zum Parteiausschluß der AfD aus der ID kommt. Eine Frage der Zeit wäre dann auch das Aus für die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung als Mitglied der ID-Foundation. Mit der Folge, keine Gelder aus der europäischen Förderung mehr zu erhalten und nicht mehr bei internationalen Veranstaltungen im Ausland vertreten zu sein.