© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Zwischen Zittern und Zuversicht
Europawahl: Drei Kandidaten, drei Parteien, drei verschiedene Herausforderungen – eine Reportage der JUNGEN FREIHEIT
Hinrich Rohbohm

Das Wetter hätte besser sein können. Unaufhörlich prasseln Regentropfen auf das Dach des Pavillons, den das Bündnis Deutschland vor dem Einkaufszentrum „Berliner Freiheit“ in Bremen-Neue Vahr aufgebaut hat. Lars-Patrick Berg könnte sich schützend darunter stellen, seinen Europa-Wahlkampf im Trockenen führen. Doch er geht raus – und hinein ins ungemütliche Naß.

Der 58jährige sitzt seit fünf Jahren im Europaparlament, war noch für die AfD dort eingezogen. Im Mai 2021 hatte er die Partei aus Protest verlassen, nachdem der Bundesparteitag zuvor den Austritt Deutschlands aus der EU gefordert hatte. Mit den jüngsten Skandalen um die AfD-Spitzenkandidaten Krah und Bystron sieht er sich in seiner damaligen Entscheidung bestätigt. Jetzt will er als Spitzenkandidat der frisch gegründeten Partei Bündnis Deutschland erneut den Einzug schaffen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Der parlamentserfahrene Berg, der von 2016 bis 2019 auch dem Landtag von Baden-Württemberg angehörte und bereits von 2014 bis 2016 als AfD-Pressesprecher im Europaparlament arbeitete, weiß das.

„Für mich sieht Patriotismus anders aus“

„Aber das Momentum dafür ist gerade da“, ist er überzeugt. Im Gegensatz zu Bundes- und Landtagswahlen müssen Parteien bei der Europawahl keine Fünfprozenthürde überspringen. Was die Chancen der kleinen Parteien erhöht. Schützenhilfe wird er von Jan Timke erhalten, dem langjährigen Chef der Bürger in Wut (BIW) in Bremen. Gemeinsam mit Lars-Patrick Berg und anderen Gleichgesinnten ist die Gruppe zu Bündnis Deutschland fusioniert, konnte bei den jüngsten Bürgerschaftswahlen in der Hansestadt erstmals in Fraktionsstärke in das Landesparlament des Stadtstaates einziehen.  „Ein Prozent müssen wir schaffen, dann reicht es“, rechnet Berg vor.

Dafür ist er bereit zu kämpfen, bereit, für den Wähler ins Nasse zu gehen. Ein Fernsehteam des ZDF ist gekommen. Und „Buten & Binnen“, das Magazin des Senders Radio Bremen sei auch schon dagewesen, erzählen sie am Infostand. Der Kandidat steht allein im Regen. Berg weiß, daß solche Schlagzeilen schnell entstehen können. Er nimmt sie in Kauf. Hoffend, daß es vielleicht reichen könnte für den Wiedereinzug.

Neu ins Europaparlament einziehen möchte hingegen Mary Khan. Die 29jährige kandidiert auf Platz 14 der AfD-Liste und hätte damit eigentlich gute Chancen, den Sprung nach Brüssel zu schaffen. Wäre da nicht die Affäre um die beiden Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron, deren Nähe zu Rußland und China die Partei in Turbulenzen gebracht hat (siehe Seite 5). In Meinungsumfragen sinkt die Zustimmung seit Wochen, von einst 23 Prozent auf Tiefstwerte von 15 Prozent. Khans Parlamentseinzug wird damit plötzlich zur Zitterpartie.

Auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung zum Thema „Die weibliche Alternative“ im Ortsteilzentrum Brüser Berg in Bonn ist sie neben Irmhild Boßdorf und Gabrielle Mailbeck als Rednerin geladen. Sie spricht über Migration, über die „Wassertaxis“, die immer mehr Menschen von Afrika nach Europa bringen. Und gerade für Frauen unangenehme Konsequenzen mit sich bringen würden. „Ich selbst komme aus Offenbach. Dort kann man abends als junge Frau nach einer Abi-Feier nicht mehr mit einem kurzen Kleid ausgehen, ohne belästigt zu werden“, erzählt sie. Und resümiert: „Man nimmt uns die Weiblichkeit, man nimmt uns den Schutz.“ Beifall und zustimmendes Nicken unter den knapp 50 anwesenden AfD-Anhängern.

Auftritte bei den eigenen Leuten tun ihr gut, sagt Khan der JUNGEN FREIHEIT. „Das ist Balsam für die politische Seele.“ Doch auch die Auftritte an Schulen würden sie motivieren. „Die trauen sich zwar nicht öffentlich der AfD beizupflichten, aber viele sind nach den öffentlichen Diskussionen zu mir gekommen und haben mir zugestimmt“, erzählt Khan. Zuvor protestieren 60 Demonstranten aus dem linken Milieu gegen die Veranstaltung. „Khan, du hast Welpenschutz“, haben sie ihr zugerufen. „Keine Ahnung, was die damit meinen“, sagt sie der JF während einer kurzen Pause und lacht. Jemand bringt ihr einen Teller mit Essen. Wurst, Nudeln, Kartoffelsalat, Brötchen. Zeit dafür bleibt ihr nicht. Nach den Reden steht ein Bürgerdialog an. Als der endet, ist die Wurst kalt. Mary Khan packt sich die Mahlzeit ein. Noch am gleichen Abend geht es für sie weiter nach Potsdam, sie wird die Nacht über mit ihrem Wagen durchfahren „und mich irgendwo an einer Raststätte über den Nudelsalat hermachen.“

Wenige Tage später: Infostand in Steglitz-Zehlendorf, Berlin. Keine Antifa, kein Protest. Die AfD ist hier angekommen. Interessenten gehen an den Stand, schnappen sich Kleinwerbemittel vom aufgebauten Infotisch. Eine gehbehinderte ältere Frau will auch etwas haben. Mary Khan öffnet ihren Rucksack. „Keine Angst, ich will ihnen nichts rausnehmen, nur was reinpacken. Darf ich?“ Sie darf.

Ihr ist klar, daß sie durch die Krah-Affäre nun auch einen Rucksack durch den Wahlkampf trägt, der zunehmend schwerer zu werden droht. In Bonn ist es Irmhild Boßdorf, die deutlich wird, als sie den AfD-Anhängern den ID-Ausschluß zu erklären versucht. „Was die überhaupt nicht gebrauchen können, sind Skandale wie mit Krah und Bystron. Beifall im Saal. Gegen die eigenen Spitzenkandidaten. Boßdorf schiebt nach: „Einfach mal die Klappe halten, bis die Wahl vorbei ist, und dann sehen wir mal, was wir mit dir machen“, sagt sie unter Applaus und herzhaftem Gelächter.

Auch in der CSU ist der Skandal um die AfD-Spitzenkandidaten Krah und Bystron Gesprächsthema. „Den nun erfolgten Rauswurf aus der ID-Fraktion finde ich nachvollziehbar und für vollkommen gerechtfertigt. Für mich sieht Patriotismus anders aus. Spitzel Chinas für sich arbeiten zu lassen, geht gar nicht“, sagt Corinna Heiss. Die 37 Jahre alte Gymnasiallehrerin kandidiert zum ersten Mal für das Europaparlament; auf Platz 37 der CSU-Landesliste. „Ich hatte mich proaktiv dafür beworben und gefragt, ob ich kandidieren kann.“ Sie konnte.

Ins Parlament wird sie mit diesem Listenplatz nicht einziehen. Doch die Konservative will mit ihrer Kandidatur Wahlkampferfahrung sammeln, kann sich vorstellen, später einmal aus ihrem Beruf heraus in die Politik zu wechseln. Bereits während des Bundestagswahlkampfes hatte sie für die baden-württembergische CDU-Abgeordnete Ronja Kemmer gearbeitet. Ihr politisches Vorbild: EVP-Fraktionschef Manfred Weber. „Ich hätte Manfred gern als EU-Kommissionspräsidenten gesehen“, sagt sie im Gespräch mit der jungen freiheit.

Was sie ihm hoch anrechnet: „Er hat die Asylprüfung in sicheren Drittstaaten durchgesetzt.“ Für Heiss ein Schritt in die richtige Richtung. „Der Staat muß entscheiden, wer zu uns kommen darf, und nicht die Schlepperbanden“, betont sie. Ihr Vorbild Weber ist zusammen mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister und CSU-Ehrenvorsitzenden Theo Waigel nach Roggenburg gekommen, ein kleiner Ort im bayerisch-schwäbischen Landkreis Neu-Ulm, nahe der Grenze zu Baden-Württemberg. Die CSU hat die beiden zum Gesprächsabend in den Klostergasthof eingeladen. Auch Corinna Heiss wird im Anschluß reden, sich den Gästen und Parteimitgliedern vorstellen.

Der Saal: voll besetzt, 120 Gäste. „Wenn ich Macron mal in die Finger kriege, würde ich ihm in seiner Muttersprache sagen, welcher Schaden durch sein Tun an der europäischen Demokratie entstanden ist“, kritisiert Heiss in ihrer Rede jenen unrühmlichen Deal zwischen Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten im Jahre 2019. Der Hintergrund: Obwohl Weber bei der Wahl vor fünf Jahren Spitzenkandidat der EVP war, einigten sich Merkel und Macron auf Ursula von der Leyen als Kommissionschefin.

Ihre Kritik kommt an, Zustimmung im Saal, die Mutter von vier Jahre alten Zwillingen erntet Applaus. Weber fühlt sich geschmeichelt. Ihre Rede hat am Ende auch Theo Waigel gefallen, der ihr mit einem Lächeln im Gesicht ebenfalls kräftigen Applaus spendet.

Fotos: Bündnis-Deutschland-Spitzenkandidat Berg (l.) mit BIW-Chef Timke im Einsatz, AfD-Wahlkämpferin Mary Khan im Gespräch am Infostand: „Das ist Balsam für die politische Seele“, CSU-Bewerberin Heiss