Eingeschossige Häuser mit dicken Holzbalken und davorgesetzten Bogenkonstruktionen ducken sich zu Dutzenden entlang der Fernverkehrsstraßen. Unscheinbar, verfallen und klitzeklein neben den vorbeidröhnenden hohen Sattelschleppern, die Waren von Polen und Tschechen nach Deutschland und zurück transportieren. Verwitterte Ziffern am Türstock zeigen Jahreszahlen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Offene oder vernagelte Fenster und Türen signalisieren – daß es sich um Häuser ohne Zukunft handelt.
Aber stimmt das auch? Nicht jedes Haus, daß plötzlich verschwunden ist, wurde abgerissen. Einige wurden abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Bei Umgebindehäusern, jenem besonderen Baustil, der Blockwerk-, Fachwerk- und Massivbauweise miteinander verbindet, ist das prinzipiell kein Problem.
Umgebinde- und Fachwerkhäuser hätten schon früher zur fahrenden Habe gehört, erzählt beim offenen Tag des Umgebindehauses ein Denkmalpfleger: Die Besitzer hätten damals einfach die Holznägel gezogen, aus denen das Ganze zusammengefügt ist, alles auf den Wagen aufgeladen, mitgenommen und anderswo wieder aufgebaut.
Selbst ein Ministerpräsident lebt in den historischen Fachwerkbauten
So einfach, wie es sich anhört, dürfte es dennoch nicht gewesen sein. Die Familien aus Thüringen und Franken, die sich im 13. Jahrhundert in der heutigen Oberlausitz, Teilen Niederschlesiens und Nordböhmens ansiedelten, dürften keine Häuser im Gepäck gehabt haben, aber die Baupläne für holzsparende, stabile und mehrstöckige Fachwerkhäuser.
Die bereits siedelnden Slawen lebten dagegen in Blockstuben, und es dauerte Jahrhunderte, bis aus beiden Konstruktionsverfahren eine eigene Volksbauweise entstand. Erst Ende des 18. Jahrhunderts erhielt sie mit den für die Gebäude typischen Umgebindebögen ihren fortan prägenden Namen Umgebindehaus.
Die aus nur mit Leinöl behandelten Holzbalken errichtete Blockstube bildet dabei den Kern des Hauses. Da sie sich je nach Witterung verformt, sorgt das durch Holzstreben miteinander verbundene, auf Ständern stehende Fachwerk – das Umgebinde – für die Stabilität der Aufbauten und des Daches.
Hartnäckig hält sich eine andere Begründung für die Blockstuben, die eng mit dem Webstuhl verbunden ist, der sich früher in beinahe jedem Haus befand. So wurde der Webstuhl auf ein separates Fundament gestellt, damit die Bewohner des Hauses nicht unter den dauernden Erschütterungen litten.
Daß sich einige tausend Umgebindehäuser als so genannte dichte Bebauung außerhalb des deutschen Sprachraums in Polen oder Tschechien befinden, hängt mit der Vertreibung der Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen. Einzelne Exemplare gibt es auch dort, wo deutsche Siedler einst eine neue Heimat fanden, in Dänemark, Litauen, in Siebenbürgen, der Bukowina, Galizien, in der Slowakei, Ungarn und auf dem Balkan.
Die Landschaft prägen sie aber nur entlang der Linie Böhmisch Leipa, Gablonz, Friedland im Süden, im Westen mit Bischofswerda als Grenze und im Norden Bautzen, Görlitz, Schönberg. Dazu kommen etwa 100 Umgebindehäuser im grenznahen Reichenau, das seit 1945 Bogatynia heißt und zu Polen gehört.
Insgesamt wird die Zahl der noch existierenden Umgebindehäuser auf 15.000 bis 20.000 geschätzt, und es besteht die begründete Hoffnung, daß die meisten tatsächlich eine Zukunft haben, auch weil auf deutscher Seite etwa 6.000 unter Denkmalschutz stehen und die Zahl der Kaufinteressenten wächst. Diese wollen vor allem ökologisch korrekt im Grünen wohnen. Machte einst Stadtluft frei, so wächst spätestens seit der Pandemie das Bedürfnis, der Enge der Stadt zu entfliehen.
Längst vermarktet die Oberlausitz die Gebäude als Alleinstellungsmerkmal unter der Marke „Urlaub im Umgebindehaus“. Der Slogan verspricht insbesondere streßgeplagten Großstädtern pure Entspannung: ein authentisches Ferienerlebnis im historischen Ambiente eines sorgfältig restaurierten 200 bis 300 Jahren alten Gebäudes, in dem sich moderne Technik hinter dem historischen Original verbirgt.
Dazu ein prächtiger Bauerngarten voller Nutz- und Heilpflanzen und in dessen Mittelpunkt eine Linde, die einst sowohl als Blitzableiter als auch als Teil der Hausapotheke diente. Seit 2017 gibt es als Teilstrecke der Deutschen Fachwerkstraße die Oberlausitzer Umgebindestraße, die einen Rundweg durch sieben Städte und Dörfer bildet: Ebersbach-Neugersdorf, Seifhennersdorf, Großschönau, Herrnhut, Oderwitz, Mittelherwigsdorf und Kottmar.
Die meisten Umgebindehäuser stehen mit mehr als 250 in Obercunnersdorf, das bekannteste Umgebindehaus steht aber wohl in Waltersdorf im Zittauer Gebirge. Seinen Ruhm verdankt das Gebäude weder seinem hohen Alter noch seiner großen Schönheit, sondern seinem weithin bekannten Besitzer. Kein Geringerer als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat es vor Jahren erworben und werkelt seitdem an ihm herum, wohl um sich mit handwerklicher Arbeit vom werktäglichen kleinlichen Gezänk seiner Dresdner Regierungskoalition abzulenken.
Foto: Weifa in der Oberlausitz: Die reich verzierten Umgebindehäuser schmücken Orts- und Landschaftsbilder von Deutschland über die Slowakei und Polen bis nach Ungarn und in die Ukraine hinein