© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

Zugvögel contra Windkraft
Paul Leonhard

In Neuenreuth unweit von Bayreuth hat eine Windturbine im April einen Rotmilan geschreddert. Der elegante Flieger konnte offenbar den Flügeln der Anlage nicht mehr ausweichen. Ein weiterer Minuspunkt im Projekt „Rotmilan – Land zum Leben“, mit dem bundesweit die Lebensbedingungen des seltener werdenden Offenlandjägers verbessert werden sollen. Vogelkadaver unter Windkraftanlagen sind keine Seltenheit. Stefan Werner von der Vogelwarte Sempach hat gleich 69 tote Vögel unter einem 98 Meter hohen Windrad entdeckt, das zu insgesamt fünf im Sankt-Gotthard-Massiv gehört. Der Biologe meldete den Fund den in Frage kommenden Behörden, auch dem Betreiber der Windanlagen, der kantoneigenen Elektrizitätsgesellschaft Tessin (AET) – und alle deckten den Mantel des Schweigens über den Vorfall. Denn nach offizieller Lesart der Bundesregierung in Bern sind Windturbinen für Vögel nicht existenzgefährdend.

200 neue Anlagen auf Alpenpässen aufstellen – wo mit dem höchsten Ertrag gerechnet werden kann.

Daß der Zürcher Tages-Anzeiger jetzt davon berichten konnte, ist deutscher Gründlichkeit zu verdanken. Denn das Brandenburger Landesamt für Umwelt hat penibel alle Meldungen über von Windrädern geschredderte Vögel nach Art, Ort und Quelle aufgelistet – auch jenen von der Vogelwarte Sempach registrierten. Die AET zeigte sich befleißigt, auf ein selbst durchgeführtes Monitoring zu verweisen, nach dem lediglich zehn tote Vögel pro Jahr und Turbine nachweisbar seien. Eine Zahl, die nicht nur Elias Vogt, Präsident des Schweizerischen Freiflächenverbandes, gegenüber Wildbeimwild.com für „nicht glaubwürdig“ hält. Für Verwunderung sorgt auch, daß die AET seine Untersuchungen über geschredderte Zugvögel erst nach dem 9. Juni vorstellen will, also nach der Volksabstimmung über das neue Stromgesetz. Dieses sieht einen Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen vor. 200 Anlagen will der Bund, bevorzugt auf Alpenpässen aufstellen – dort, wo in der windstillen Schweiz mit dem höchsten Ertrag gerechnet werden kann, andererseits die Zugvögel auf ihren Routen die Alpen queren.