Pilates ist eine Trainingsform, die Kraft, Flexibilität und Körperkontrolle in Perfektion schonend und nachhaltig vereint. Die Übungen sind unkompliziert, effizient und können ohne Geräte oder Anleitung in kurzen Zeiteinheiten ausgeübt werden. Sie sind so konzipiert, daß sie individuell an das Fitneßniveau und das körperliche Befinden adaptiert werden können – eines der Erfolgsgeheimnisse dieses internationalen Trendsports. Ungefähr eine Million Menschen in Deutschland üben diesen Sport inzwischen aus.
Am 9. Dezember 1883 wurde Joseph Hubertus Pilates, der Begründer der nach ihm benannten Methode, in Mönchengladbach als eines von neun Kindern geboren. Joseph war ein schwächlicher Junge mit Asthma und Rachitis, der mit fünf Jahren beim Spielen mit anderen Kindern sein rechtes Augenlicht verlor. Sein großes Vorbild war sein Vater – von Beruf Schlosser und ein begeisterter Turner und Boxer. Beides begründete seine lebenslange Suche nach der perfekten Trainingsmethode für die innere und äußere Balance.
Gesteigerte Vitalität durch zielgerichtete Dehnbewegungen
Nach der Schule absolvierte Pilates eine Lehre zum Bierbrauer, wanderte 1912 nach England aus und arbeitete dort als Boxer und Zirkusartist sowie als Lehrer für Selbstverteidigung an Polizeischulen, auch bei Scotland Yard. Zu Kriegsbeginn 1914 war er jedoch zur falschen Zeit am falschen Ort. Innerhalb von 24 Stunden, nachdem die britische Regierung Deutschland am 4. August 1914 den Krieg erklärt hatte, trat der Aliens Restriction Act (4 & 5 Geo. 5.c.12) in Kraft, der die Deutschen als „feindliche Fremde“ einstufte. Alle deutschen Männer zwischen 17 und 55 Jahren wurden eingesperrt, 23.000 kamen in das „Knockaloe Internment Camp“ auf der Isle of Man, wo Pilates seine Körperübungen entwickelte.
In der Sports Illustrated beschrieb Pilates das monotone Leben auf der Insel in der Irischen See und den körperlichen und geistigen Verfall seiner Mit-insassen. „Es gab nichts zu sehen, außer die eine oder andere hungrige Katze, die einer Maus oder einem Vogel nachjagte.“ Ihm sei aufgefallen, daß jede Streunerkatze in dem Lager mehr Energie hatte als die Gefangenen. Er fragte sich: „Warum sind die Katzen so munter und so gut in Form, während die Menschen mit jedem Tag blasser, schwächer und apathischer werden und nur darauf warten, eine Erkältung zu bekommen oder sich den Knöchel zu verstauchen, um einfach aufgeben zu können?“
Er schloß aus den Bewegungsmustern der Katzen, daß der Schlüssel zu ihrer Vitalität in den Dehnbewegungen läge, die sie den ganzen Tag lang ausführten. Unter der Bezeichnung „Contrology“ stellte er eine Reihe von Übungen zusammen und konstruierte einfache Trainingsgeräte aus Bettfedern, die bei der Dehnung menschlicher Muskulatur, Zentrierung und Stabilisierung des Körpers helfen sollten. Diese probierte er mit sichtbarem Erfolg gegen die „Stacheldraht-Krankheit“ an seinen Mitinsassen aus. 1919 kehrt Pilates nach Deutschland zurück. Um seine Familie zu ernähren, arbeitet er als Boxlehrer, bildet später Polizeischüler in Selbstverteidigung aus und perfektioniert die Abläufe seiner Bewegungslehre zu einem Ganzkörpertraining, bei dem Atmung und Bewegung in Einklang gebracht werden.
Schließlich entscheidet er sich, dorthin zu gehen, wo Talente mit offenen Armen empfangen werden: in die USA. Auf der Überfahrt nach New York 1926 lernt er seine spätere Ehefrau Clara kennen, eine Krankenschwester. Gemeinsam eröffnen sie ein Studio in Manhattan. Er nennt sich jetzt Joe und sein Training „Pilates“, sein patentiertes Körperübungsgerät tauft er in Reformer um, den Rumpf bezeichnet als „Powerhouse“. Ballettänzer und Choreographen erkennen den Nutzeffekt von Pilates und rennen ihm die Türen ein. Durch das Training verbessert sich die Körperhaltung, und die Muskulatur wird nicht zu voluminös, was in der Tanzszene erwünscht ist. Die Tänzer Martha Graham und George Balanchine, die Schauspielerinnen Katharine Hepburn und Lauren Bacall, aber auch Max Schmeling soll Pilates in New York trainiert haben. Die medizinische Erfahrung von Clara Pilates führte zusätzlich zu einer sanfteren und rehabilitativ ausgerichteten Weiterentwicklung seines Konzeptes.
„Für jeden Menschen der modernen Welt hilfreich“
Pilates wird zu einer Art Guru und bildet auch Lehrer aus, damit sich seine Methode verbreiten kann, zudem veröffentlicht er verschiedene Bücher. 1945 erscheint sein Trainingsbuch „Return to Life through Contrology“ mit Fotos aller Übungen. Pilates erweitert unterdessen sein Trainingsprogramm mit Elementen des Bodybuilding, Yoga und Zen-Meditation. „Es ist die Wiederherstellung von Geist und Seele, ganzheitliche Fitneß“, und „körperliche Fitneß ist die erste Voraussetzung für Glück“, erkennt Pilates zu einem Zeitpunkt, als sich niemand für solche Themen interessierte.
Als er 1967 mit 83 Jahren, immer noch aktiv, an einem Lungenemphysem verstirbt, ist Pilates dennoch ein Nischenphänomen in der Ballett- und Tanzszene – der weltweite Durchbruch kommt drei Jahrzehnte später dank Promis wie David Beckham und der US-Talklegende Oprah Winfrey. „Pilates ist die perfekte Art für mich, Muskeln aufzubauen, ohne mich zu verletzen“, schwärmte Madonna – die Trainingsmethode wird zum Trend.
Das heutige Pilates unterscheidet sich von dem der Anfangszeit, doch seine Wurzeln hat es nach wie vor im Internierungslager von Knockaloe. „Joseph Pilates lag dort Tag für Tag und überlegte, wie er auf kleinstem Raum seinen Körper ertüchtigen kann“, sagt John Howard Steel, einer seiner letzten noch lebenden Schüler. „Dabei hat er etwas gefunden, das für jeden Menschen der modernen Welt hilfreich sein kann, denn wir sind alle eingesperrt. Die meisten Menschen verbringen ihre Zeit zum größten Teil im Sitzen in Büros und leben in engen, kleinen Wohnungen. Das war seine Entdeckung: Wie man im Gefängnis des Lebens leben kann.“ Kurz vor seinem Tode erkannte Joseph Pilates, er wäre seiner Zeit 50 Jahre voraus – eine wahre Erkenntnis.
www.aok.de/pk/magazin/sport/fitness/was-ist-pilates-und-was-bringt-es
Unterschiede zwischen Yoga- und Pilates-Übungen
Pilates- und Yoga-Übungen fördern Entspannung, Gesundheit und Wohlbefinden, sie werden deshalb nicht nur von Ärzten und Krankenkassen empfohlen. Pilates trainiert die kontrollierte Bewegungsausführung und läßt so ein besseres Körperbewußtsein entstehen. Pilates lehrt die Brustkorb- und Zwerchfellatmung, der Schüler soll durch die Nase Ein- und durch den Mund Ausatmen. Bei Yoga geht es nicht nur um Körperübungen, sondern vor allem um Meditation, Konzentration und Bauchatmung durch die Nase. Yoga ist zudem viel berühmter: Wegen seines gesundheitlichen Nutzens erklärte die UN-Generalversammlung 2014 den 21. Juni sogar zum jährlichen „International Day of Yoga“. Da Yoga ursprünglich aus Indien stammt, ist es aber nicht nur in den USA in den Strudel der „Identitätspolitik“ geraten: „Die Yogakultur wurde geklaut, den westlichen Bedürfnissen angepaßt und hat sich zu einem Milliarden-Dollar-Markt entwickelt“, faßte Susanne Peter (Dahlem Reseach School) die Vorwürfe im Blog des ABV-Bereiches „Gender- und Diversitykompetenz“ der FU Berlin zusammen. (js)
www.un.org/en/observances/yoga-day