© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

Transformation mit Algorithmen
Was sind die Grundpfeiler einer digitalen Weltrepublik
Felix Dirsch

Angesichts massiver geopolitischer Umbrüche (Brics-Formierung, Ukraine-Krieg, Aufstieg Chinas und große Migrationsströme) ist es nicht überraschend, daß überall über globale Veränderungen diskutiert wird. Zu nennen ist die vielbeachtete Studie Herfried Münklers („Welt in Aufruhr“). Sie krankt aber wie nicht wenige andere Arbeiten zum Thema daran, daß sie die Weltordnung ausschließlich als Konstellation bestimmter Staaten zueinander beschreibt. 

Ein wichtiges Moment des Neuen in der neuen Weltordnung ist die digitale Ausrichtung. Die letzten Jahre haben einen Vorgeschmack auf die Ambivalenzen neuer Kommunikations- und Korruptionsstrukturen gegeben: NSA-Affäre, „Putin-Trolle“, globale Whistleblowers, abgehörte Bundeswehroffiziere und viele weitere Beispiele. Nach einer ausführlicheren diagnostischen Einleitung, in der das politische Moment am digitalen erörtert wird, analysiert der aufstrebende britische Publizist Jamie Susskind, welche Bedeutung Algorithmen in der sich immer deutlicher abzeichnenden globalen Transformation zukommt.

Präzise benennt Susskind die Grundpfeiler der digitalen Republik: Er berücksichtigt erstens den Machtfaktor digitaler Techniken. Weiter räumt er mit dem Mythos von der Neutralität und unpolitischen Ausrichtung der Technik auf. Darüber hinaus wird zukünftig von enormer Relevanz sein, auf welche Weise digitale Instrumente weiterverbreitet werden. Bisher geschieht dies mittels Markteffizienz. Auf diese Weise werden die großen Konzerne besonders gefördert. Man erinnere nur an die Macht der Gafam-Unternehmen (Google, Amazon, Meta bzw. Facebook, Apple und Microsoft). Sie diktieren die globalen Marktgesetze schon seit längerer Zeit und sind mitunter so erfolgreich, den Staaten die eigenen Regeln aufzuzwingen. Susskind unterstreicht zudem die Notwendigkeit einer Rechtsordnung, die dem Allgemeinwohl den Vorrang vor wirtschaftlich Mächtigen einräumt. 

Zu den Herausforderungen der digitalen Ordnung zählt, die Mitwirkung der Bürger an der neuen Ordnung zu erhöhen. Das technokratische Element wird künftig (wegen des Einflusses von Experten) noch wichtiger werden. Auf der anderen Seite ist es für den Einzelnen heute leichter, sich über die sozialen Netzwerke zu artikulieren. Somit läßt sich die öffentliche Meinung, wenn auch zumeist nur in sehr beschränktem Maße, quasi von unten beeinflussen. Auch das Thema der deliberativen Öffentlichkeit wird von Susskind nicht übergangen. Er kämpft mit offenem Visier dafür, die Möglichkeiten der neuen Technologie zum Wohle der Menschen einzusetzen. Diese Aufgabe zu erledigen ist heute nicht einfacher als früher.


Jamie Susskind: Digital Republic: Warum unsere neue Welt eine neue Ordnung braucht. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2023, gebunden, 544 Seiten, 27 Euro