Im Ersten Weltkrieg fielen zwei deutsche Reichstagsabgeordnete. Sie hatten sich, trotz ihres schon vorgerückten Alters, freiwillig zu den Waffen gemeldet: Hans von Meding und Ludwig Frank. Meding stammte aus dem Landadel und gehörte zu den konservativen „Welfen“ der Deutsch-Hannoverschen Partei, was seine Entscheidung naheliegend erscheinen läßt. Ganz anders der Fall Franks, der jüdischer Herkunft und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war.
Frank wurde am 23. Mai 1874 in dem oberbadischen Dorf Nonnenweier geboren. Seine Familie lebte hier gleich anderen jüdischen Familien in einer ländlichen Gegend neben ihren christlichen Nachbarn, ohne daß der Unterschied in Herkunft, Religion und üblichem Beruf – Franks Vater war kein Landwirt wie die meisten, sondern Kaufmann – eine besondere Rolle gespielt hätte. Bezeichnenderweise erkannte der evangelische Pfarrer des Ortes die besondere Begabung des Jungen und bereitete ihn auf den Besuch des Gymnasiums vor. Frank beendete seine Schullaufbahn 1893 als Primus omnium seines Jahrgangs. Ihm fiel deshalb die Ehre zu, die Abiturientenrede zu halten. Eine Gelegenheit, die er nutzte, um ein flammendes Plädoyer für das Toleranzprinzip und die Fürsorgepflicht der oberen Stände zu halten. Das Badische Unterrichtsministerium reagierte gereizt auf den rebellischen Ton und verweigerte die Aushändigung des Reifezeugnisses, mußte aber zuletzt dem öffentlichen Druck nachgeben.
Frank nahm in der Folge ein Jura-Studium auf, leistete seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger, wurde 1899 promoviert, legte kurz darauf das Zweite Staatsexamen ab und arbeitete dann als Rechtsanwalt in einer größeren Mannheimer Kanzlei. Allerdings sahen seine Kollegen das politische Engagement Franks mit wachsendem Unmut. Er schied aus und machte sich selbständig. Schon vor seinem Eintritt in die SPD hatte Frank sozialistische Theoretiker gelesen, zählte aber nicht zu den marxistischen Dogmatikern der Partei. Deutlich wurde das spätestens nach seiner Wahl zum Abgeordneten der Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung 1907, als er die Zusammenarbeit mit Links- und Nationalliberalen, fallweise auch dem Zentrum, befürwortete, um ein Bündnis zu schaffen, das die bestehende Ordnung nicht umstürzen, sondern durch Reformen verbessern sollte.
Dabei ging es Frank in erster Linie um die Stärkung der parlamentarischen Mitbestimmung, Abschaffung aller Restriktionen im Hinblick auf das gleiche Männerwahlrecht, die Neuordnung des öffentlichen Dienstes, der Schulen und die Reform des Steuersystems. Entsprechend positionierte er sich auch nach seiner Wahl in den Reichstag 1907. Nur konnte das badische Modell – trotz Friedrich Naumanns temperamentvollem Plädoyer für eine Allianz „von Bassermann bis Bebel“ – nicht auf die nationale Ebene übertragen werden. Das hatte verschiedene Gründe, aber auch damit zu tun, daß in der Sozialdemokratie die „antirevisionistische“, letztlich auf eine Revolution setzende, Richtung noch einmal erstarkte. Deutlich zeigte das der Streit um die Frage, ob die SPD Haushaltsanträgen der Regierungen im Reich und in den Ländern zustimmen oder bei ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem „Klassenstaat“ bleiben sollte. Für die erste Option trat Frank mit dem „Großblock“ in Baden ein, für die zweite die Parteispitze um August Bebel und den Hüter der marxistischen Orthodoxie Karl Kautsky.
Motor für die SPD-Zustimmung für den „Burgfrieden“ 1914
Es wäre allerdings falsch anzunehmen, daß sich Frank als „Revisionist“ prinzipiell für Mäßigung aussprach. Im Rahmen des Kampfes gegen das Preußische Dreiklassenwahlrecht unterstützte er den linken Parteiflügel bei der Forderung nach einem politischen Massenstreik zur Durchsetzung einer Änderung. Eine Strategie, mit der Frank ebenso scheiterte wie mit seinen Vorstößen gegen die Heeresvorlage von 1913 und zur Entspannung der außenpolitischen Lage. Das galt vor allem im Hinblick auf die von ihm mit großen Erwartungen verbundenen Treffen deutscher und französischer Parlamentarier in Bern am 11. und 12. Mai 1913 und in Basel am 30. Mai 1914. Als sich die Lage wandelte, war er allerdings bereit, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Auf einer großen Friedenskundgebung in Mannheim vier Wochen später erklärte er, daß die Sozialdemokratie alles in ihrer Macht stehende tun werde, um einen Krieg zu verhindern. Sollte es aber zum Äußersten kommen, würden die nicht selten als „vaterlandslose Gesellen“ verfemten natürlich ihre „nationale Pflicht erfüllen“.
Bei der Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten im Reichstag und der Unterstützung des „Burgfriedens“, der alle inneren Konflikte zwischen den politischen Lagern bis zur Wiederherstellung des Friedens vertagte, spielte Frank eine entscheidende Rolle. Die Motive, die für ihn den Ausschlag gaben, waren innerhalb der SPD durchaus verbreitet. Das galt für die Überzeugung, in einem Verteidigungskampf zu stehen, der vor allem gegen Rußland – den Hort der Reaktion – geführt werden mußte, wie für die Ansicht, daß man durch die Tat seine Loyalität unter Beweis stellen sollte und damit dem Aufbau einer neuen gerechten Ordnung des Reiches den Weg bereiten werde. In einem Brief an einen Freund äußerte Frank: „Die internationale Idee ist auf lange hinaus zurückgedrängt durch die Realität einer nationalen Arbeiterbewegung. Statt eines Generalstreiks führen wir für das preußische Wahlrecht einen Krieg.“
Als er das schrieb, war Frank schon zwei Wochen im Dienst. Seine Freiwilligenmeldung hatte er noch im Reichstag abgegeben, weil nun „der einzig mögliche Platz in der Linie in Reih und Glied“ sei. Am 3. September 1914 fiel er bei einem Sturmangriff als Gefreiter des 2. Badischen Grenadier-Regiments „Kaiser Wilhelm I.“ (Nr. 110) in der Nähe des lothringischen Ortes Nossoncourt. Man hat wegen des tragischen Todes, der jüdischen Herkunft und einer gewissen äußeren Ähnlichkeit eine Verbindung zwischen Frank und Ferdinand Lassalle hergestellt. Entscheidend dürfte allerdings sein, daß für beide das Bekenntnis der Sozialdemokratie zu Staat und Nation „aus einer inneren Notwendigkeit, nicht aus einem äußeren taktischen Zwang“ erfolgen sollte. Das stellt sie in eine Linie, die über Friedrich Ebert, Gustav Noske, Carlo Mierendorff und Julius Leber bis zu Kurt Schumacher führte. Aber das trennt sie auch von jenen Vertretern der Linken, die den Patriotismus immer nur dann entdecken, wenn es opportun erscheint.
Foto: Ludwig Frank (1874–1914): Sollte es zum Äußersten kommen, würden die nicht selten als „vaterlandslose Gesellen“ verfemten Sozialdemokraten natürlich ihre „nationale Pflicht erfüllen“