Bei einem Krimi stehen laut Duden ein Verbrechen und seine Aufklärung im Mittelpunkt. Und die Leserschaft oder die Zuschauer, die diesen Ungeheuerlichkeiten medial beiwohnen, schauen dem Mörder beim Morden zu und dem Ermittler beim Ermitteln. Irgendwo.
Aber eines Tages war er da! Der Regiokrimi!
Darüber, welchem Krimi als erstes das Etikett Regiokrimi verpaßt wurde, streiten sich die Krimiexperten. „Tödlicher Klüngel“ von Christoph Gottwald, erschienen 1984, gilt vielen als der erste in der langen Reihe. Ist er das, so darf man ihn als „Köln-Krimi“ titulieren. Anderenfalls ist er eben ein Krimi, der in Köln spielt. Nicht wenige sehen in dem 2022 verstorbenen Jacques Berndorf mit seinem 1989 erschienenen „Eifel-Blues“ den Pionier.
Ist der Regiokrimi, auch wenn bei ihm die gleichen Verbrechen begangen werden, nur der biedere, provinzielle Verwandte des Krimis? Ist er ein kleiner Gernegroß, über den man schmunzelt und den man nicht für voll nimmt, auch wenn er eine lukrative Position am Büchermarkt innehat? Ist er des deutschen Schlagers Bruder im Geiste? Auch der Schlager hält sich wacker am Markt. Aber wer gibt schon zu, gerne Schlagermusik zu hören!
Spricht man mit Autoren dieses Genres, die mit der Etikettierung „Regiokrimi“ für ihre kriminell-literarischen Werke unzufrieden sind, hört man oft den verzweifelten Einwand: „Aber jeder Krimi muß doch irgendwo spielen.“ Stimmt. Diese Aussage kann nicht widerlegt werden und hält jeder kriminalistischen Überprüfung stand. Niemand würde auf die Idee kommen die Romane von Friedrich Glauser, Agatha Christie oder Donna Leon als Regiokrimis zu bezeichnen. Also müssen noch weitere Ingredienzien hinzukommen, um aus einem Krimi ein Regionalkrimi zu machen.
Auf das Lokalkolorit eines Ortes kommt es an
Was ist eigentlich ein Regionalkrimi? Schlagen wir nochmals im Duden nach. Laut dem Standardwerk der deutschen Sprache versteht man darunter: einen „Kriminalroman oder Kriminalfilm, der engen Bezug zu einer bestimmten Region oder Stadt hat.“ Was genau man unter einem engen Bezug versteht, ist Auslegungssache. Reicht es schon, eine bestimmte Stadt, ein Dorf oder eine Region als Ort des Verbrechens auszusuchen? Wohl kaum, denn dann wären die drei oben genannten Autoren Vertreter dieses Subgenres. Also müssen noch mehr regionale Eigentümlichkeiten herhalten, um dem Terminus zu entsprechen. Vielleicht eine in ein liebevolles Kleid gehüllte Beschreibung der landschaftlichen Besonderheiten, damit eine Region oder Kleinstadt damit Tagestouristen anlocken kann? Vielleicht exakt benannte Straßen und Plätze, damit der Leser sagen kann: „In dem Café, vor dem der Mord geschah, habe ich letzte Woche Schwarzwälder Kirsch gegessen.“ Immer reizvoll ist auch die Verwendung von Protagonisten, die man trotz literarischem Inkognito wiedererkennt und die entweder geschmeichelt oder beleidigt sind.
Zu empfehlen ist es auch, ein wenig Dialekt zu verwenden – nicht zu viel, denn das erschwert das Lesen.
Viele Regiokrimis werdenvom Fernsehen verfilmt
Ganz wichtig, so liest man in allen Publikationen über das Thema „Regiokrimi“, ist das Lokalkolorit. Unter diesem Begriff, vom französischen „Couleur locale“ abgeleitet, versteht man das Ausgefallene oder die Atmosphäre, die einem Ort zu eigen sind. Es besteht allerdings die Gefahr, daß das Lokalkolorit zum Klischee erstarrt, das mit der Wirklichkeit der Gegend nichts mehr gemein hat.
Die saarländische Autorin Elke Schwab fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu. Sie sagt: „Unter Regionalkrimis verstehe ich Krimis, die in der Heimat der Autoren spielen oder dort, wo es den Autoren gut gefällt.“ Die Schöpferin von Kommissar Norbert Kullmann bezeichnet ihre Krimis selbstbewußt als Regiokrimis, denn sie fühlt sich mit ihrer Heimat, dem Saarland, sehr verbunden. „Ich habe Freude daran, den Lesern das Bundesland näherzubringen. Aber“, so weiß sie, „in unbekannteren Gegenden oder weniger dicht besiedelten Regionen ist die Vermarktung eines Regiokrimis eine echte Herausforderung.“
Das läßt sich bestätigen. Alljährlich erhobene Verkaufsstatistiken des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sehen in Deutschland kontinuierlich Bayern in der Pole-Position. Ebenfalls vorne zu finden sind die Regiokrimis, die an Ostsee und Nordsee spielen. Auch sie verkaufen sich sehr gut außerhalb ihrer Region. Hier ragen die Ostfriesland-Krimis heraus. Wer denkt dabei nicht an Klaus-Peter Wolf und seine Ostfriesland-Krimis, die auf den Bestsellerlisten zu finden sind und auch vom ZDF verfilmt werden?
Sicherlich mit schuld daran, daß heute Ostfriesen-Krimis bekannter sind als Ostfriesen-Witze, sind Heike und Peter Gerdes, die im Jahr 2000 in Leer den Leda-Verlag gegründet und hauptsächlich Insel- und Ostfriesenkrimis im Programm hatten. Zu Beginn des Jahres 2020 wurde der Leda-Verlag vom Gmeiner-Verlag im baden-württembergischen Meßkirch übernommen. Auch wenn das Portfolio des 1986 gegründeten Gmeiner-Verlages im Laufe der Jahre um historische, zeitgeschichtliche Krimis, True Crime, Bildbände und vieles mehr erweitert wurde, liegt das Hauptaugenmerk auf Regiokrimis. Auf diesem Sektor ist er führend im deutschsprachigen Raum.
Seit es das Phänomen „Regiokrimi“ gibt, wird ihm ein baldiges Ende prophezeit. So steht 2011 in einem Artikel der Welt: „Jedes deutsche Nest hat seinen Ermittler. Wer will die Regio-Krimis eigentlich noch lesen?“ Dazu der Verleger Armin Gmeiner: „Die Frage gibt es schon lange. Aber wir merken es im Buchabsatz, daß der regionale Krimi noch immer gefragt ist.“ Auch im Fernsehen. Als prägnantes Beispiel nennt er Claudia Rossbacher, deren Bücher in seinem Verlag herausgegeben werden. „Sie schreibt Steiermark-Krimis. Die werden auch verfilmt. Steirerblut, Steirerkind. Das sind eigentlich Regionalkrimis aus der Steiermark.“ Gut zehn Steirerkrimis der österreichischen Erfolgsautorin wurden bislang fürs Fernsehen adaptiert. „Es ist entscheidend“, so Armin Gmeiner, „daß man immer wieder aktuelle Themen aufgreift und mit der Region verbindet. Man muß also einen Bezug zur Region haben und schauen, welche Themen sind in der Gesellschaft oder der Region aktuell.“ Armin Gmeiner nennt noch einen weiteren Grund für den Erfolg. „Es passiert so viel weltweit, daß man froh ist, etwas aus der eigenen Region zu lesen, zu dem man einen Bezug hat und es wiedererkennt.“
Die Schriftstellerin und Publizistin Cora Stephan veröffentlichte unter dem Pseudonym Anne Chaplet lange Jahre Krimis, wie das 2003 erschienene und mit dem deutschen Krimipreis ausgezeichnete „Schneesterben“. Schauplätze ihrer Geschichten waren unter anderem Frankfurt, Berlin oder das südliche Frankreich. Mittlerweile hat sie sich vom Krimi verabschiedet. „Obwohl“, wie sie sagt, „kaum etwas lehrreicher ist, als die Arbeit am Spannungsbogen samt Cliffhanger.“
Gefragt nach ihrer Meinung zu Regiokrimis, antwortet sie: „Ehrlich gesagt, ich habe über den Begriff Regiokrimi gar nicht nachgedacht. Die Großmeisterinnen des britischen Krimis – Dorothy Sayers oder P. D. James oder Ruth Rendell – siedeln ihre Geschichten oft in bestimmten britischen Landschaften an, das hat mir immer gefallen. Jeder Landstrich hat ja so seine Eigenheiten.“
Kerstin Rech schreibt unter anderem Kriminalbücher („Die Tür) und ist Mitglied im Verein zur Förderung deutschsprachiger Kriminalliteratur.