© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

Über die systemerhaltende Reproduktionsarbeit des Gebärens
Kinder und Frauenkörper als Ware

Obwohl die Zahl der Neugeborenen in fast allen Staaten des globalen Nordens sinkt, werden dort weiterhin Geburten öffentlich-emotional mit Glücksverheißungen aufgeladen, die  Eltern ein „exklusives Grandiositätserlebnis“ versprechen. Für die Soziologinnen Marie Reich (Frankfurt/M.) und Anne-Kristin Kuhnt (Rostock) ist dies nichts als „romantisierte Verschleierung“ der Wirklichkeit eines alles in Ware verwandelnden Kapitalismus. Die ideelle Erhöhung des Gebärens stehe daher im krassen Kontrast zu den materiellen Voraussetzungen der für eine zur Systemerhaltung notwendigen „Reproduktionsarbeit“, die die Ware Arbeitskraft mit jedem Neugeborenen immer wieder herstellt. Was schwieriger werde mit einem chronisch unterfinanzierten Geburtshilfesystem, das großstädtische Geburtskliniken fördere, während ländliche schließen. Das zudem bis 2022 70 Prozent der deutschen Hebammen zur Berufsaufgabe oder in Teilzeit zwang und damit den wichtigsten Faktor für ein „positiv wahrgenommenes Geburtserlebnis“ ausschaltete. Parallel dazu entwickle sich auf einem hochprofitablen Markt „Gebären als bezahlte Arbeit“. Die „Inwertsetzung der Geburt“ lasse sich an Zuwachsraten reproduktionsmedizinischer Behandlungen und steigender Nachfrage an „Leihmüttern“ aus dem globalen Süden ablesen. Nicht nur das kapitalistische Verständnis von Kind und Frauenkörper als Ware komme bei den schlecht entlohnten Leihmüttern brutal zum Ausdruck, sondern auch der dem „Kapitalismus immanente Rassismus“, da nichtweiße Frauen wirtschaftlich gezwungen seien, Kinder privilegierter weißer Frauen auszutragen (Gender, 1/2024). (ob)  www.gender-zeitschrift.de