© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

Als die Stasi in feindlich-negativen Künstlerkreisen operierte
Transmodell im besonderen Einsatz

Während der als „Verfassungsschutz“ firmierende Inlandsgeheimdienst der Berliner Republik fast seine ganze Kraft auf den Kampf gegen die politische Opposition der AfD konzentrieren kann, rang sein Vorgänger, der Staatssicherheitsdienst des SED-Regimes, noch mit einer vielköpfigen Hydra der Renitenz. Obwohl kirchliche Zirkel oder lose geknüpfte Netzwerke von Intellektuellen und Künstlern die SED-Herrschaft nie ernsthaft bedrohten, forderten sie die Stasi doch zu vollem Einsatz heraus. Als ihr schwierigstes Beobachtungsfeld erwiesen sich „feindlich-negative Künstlerkreise“, weil Erich Mielkes Truppe nicht über „kunstaffines Personal“ verfügte, das sich in alternativen Zirkeln sicher bewegen konnte. Das änderte sich in den 1980ern, als, wie die Potsdamer Kunsthistorikerin Katalin Krasznahorkai recherchiert hat (Zeitschrift für Ideengeschichte, 2/2024), „ein neuer Typus von Informanten, der Künstler-Agent“ die Szene betrat, dem im Fall von Gabriele Stötzer, einer im Erfurter „Underground“ aktiven Schriftstellerin und Perfomance-Künstlerin, als Biermann-Unterstützerin1976 in Untersuchungshaft genommen und im Frühjahr darauf wegen „Staatsverleumdung“ zu einem Jahr Haft verurteilt, ein spektakulärer Einbruch ins Milieu gelang. Mit dem in Stöckelschuhen und Damenunterwäsche posierenden Transmodell „Winfried“, einem von der Stasi trainierten Transvestiten, produzierte die ahnungslose Stötzer eine der ersten Fotoserien, die sich in der DDR mit „fluiden Geschlechteridentitäten“ beschäftigte. Das Ziel der Operation, Stötzer als „Pornographin“ anzuklagen, um die „Gegenkultur“ zu zersetzen, wurde allerdings nicht erreicht. (dg)

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