© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

„Die Rama-Phorie ist vorbei“
Wahl in Südafrika: Nach 30 Jahren droht Cyril Ramaphosas ANC der Machtverlust

In Südafrika stehen am 29. Mai Parlamentswahlen an. Wie ist die Stimmung im Land?

Tammy Breedt: Es gibt ein Gefühl der Dringlichkeit, daß sich etwas ändern muß. Wir können nicht so weitermachen wie in den vergangenen 30 Jahren.

Was sind die Hauptprobleme Südafrikas?

Breedt: Ein niedriges Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit von Sozialleistungen stehen ganz oben auf der Liste. Aber auch das Gesundheits- und Bildungswesen ist mit zahlreichen Problemen konfrontiert und gibt Anlaß zur Sorge. Im Jahr 2023 lag das Wirtschaftswachstum in Südafrika bei nur 0,5 Prozent. Es wird geschätzt, daß 2024 ein Anstieg auf ein Prozent zu verzeichnen sein wird, aber das ist zweifelhaft. Nach der engen Definition der Arbeitslosigkeit liegt unsere Arbeitslosenquote im ersten Quartal 2024 bei 32,9 Prozent. Diese Zahl erhöht sich jedoch, wenn man die Definition auf Personen ausweitet, die die Suche nach Arbeit bereits aufgegeben haben. Die Jugendarbeitslosigkeit ist weitaus höher und liegt bei 45,5 Prozent. Fast die Hälfte aller Südafrikaner ist derzeit auf Sozialhilfe angewiesen.

Wo kann Präsident Matamela Cyril Ramaphosa (ANC) Erfolge vorweisen?

Breedt: Als Präsident Ramaphosa sein Amt antrat, herrschte in Südafrika das, was wir als Rama-Phorie bezeichnen. Viele Südafrikaner waren froh, daß er gewählt wurde und daß ein Südafrika unter einem Ramaphosa-ANC eine echte Chance hat. Das hat sich als falsch erwiesen, denn die Arbeitslosigkeit und die Kriminalität haben zugenommen, die Versorgung mit Dienstleistungen hat sich verschlechtert, und wir haben die bisher größten Stromausfälle erlebt. Ich kann ehrlich gesagt nicht eine einzige Sache nennen, die sich unter ihm verbesserte, abgesehen von der kollektiven Einsicht, daß es dem Land nicht gut geht und Veränderungen nötig sind.

Zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten sieht es so aus, als würde der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten und müßte eine Koalitionsregierung aushandeln. Ist ein Wendepunkt möglich?

Breedt: Ja, ich glaube schon. Südafrika ist seit 30 Jahren unter der Herrschaft des ANC. In den Bereichen Bildung, Gesundheitsfürsorge, Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wasser, sanitäre Einrichtungen und Wohnraum hat sich nichts verbessert, und mehr Menschen sind ohne Arbeit als vor 30 Jahren. Die Situation hat sich so sehr verschlechtert. 

Welche Partnerschaft käme für den ANC in Frage? Vielleicht mit den Economic Freedom Fighters (EFF) von Julius Malema, der gerne einmal  das Kampflied „Shoot to kill, kill the Boer, kill the farmer“ anstimmt?

Breedt: Die EFF haben erklärt, daß sie bereit wären, mit dem ANC zusammenzuarbeiten, sofern sie den Finanzminister stellen können. Ich bezweifle, daß der ANC bereit ist, seine Macht in puncto Finanzpolitik so einfach aufzugeben. Die EFF haben bewiesen, daß sie in Koalitionen unzuverlässig sind.  In vielen der Minderheitsregierungen in den Gemeinden hat die EFF zuerst mit und dann gegen ihre Bündnispartner gestimmt. Wenn ich mich recht erinnere, war eine Abstimmung in Ekhurhuleni (östlich von Johannesburg) ein solcher Fall, bei dem die Oppositionskoalition wieder die Kontrolle erlangen konnte.

Auch die oppositionelle Demokratische Allianz (DA), die zweitstärkste Kraft im Parlament, ist im Gespräch. Was ist ihre Wahlkampfstrategie?

Breedt: Der ANC hat sich zu einer Zusammenarbeit mit der Demokratischen Allianz bereit erklärt. Die DA hat Kampagnen durchgeführt, um die Stimmung bei ihren Wählern zu testen. Dies ist meiner Meinung nach die wahrscheinlichste Kombination, die wir nach dem 29. Mai sehen werden.

Vor allem in der Provinz Westkap, wo die DA auf regionaler Ebene an der Macht ist, kochen die Wogen hoch. Die Unabhängigkeitsbewegung nimmt mit der Referendum Party an den Wahlen teil. Besteht die Gefahr einer Zersplitterung der Opposition?

Breedt: Schon bei früheren Wahlen haben wir erlebt, daß Parteien mit nur einem bestimmten Ziel angetreten sind. In der Vergangenheit war dies aus verschiedenen Gründen nicht von Erfolg gekrönt. Ich glaube nicht, daß dies die Opposition zu sehr beeinträchtigen wird.

Ihre Partei, die Vryheidsfront Plus, hat bei der letzten Wahl 2019 mit 2,4 Prozent der Stimmen und zehn Sitzen ihr bisher bestes Wahlergebnis auf nationaler Ebene in Südafrika erzielt. Wie läuft der Wahlkampf? 

Breedt: Der Wahlkampf läuft gut. Wir haben eine klare Botschaft, die eine vielfältige Gemeinschaft anspricht und wirklich etwas in Südafrika bewirken will. Wir haben einen 10-Punkte-Plan, der darauf abzielt, das Wirtschaftswachstum zu verbessern, die Stromkrise zu bewältigen, eine nachhaltige Entwicklung anzustreben, Recht und Ordnung zu verbessern, eine bessere Gesundheitsversorgung zu schaffen und den Schwerpunkt auf eine qualitativ hochwertige, gemeindebasierte muttersprachliche Bildung zu legen.

Wie sehen die Umfragen aus?

Breedt: Die Umfragen haben unsere Ergebnisse immer unterschätzt. Derzeit liegen wir bei den Prognosen für 2019, was auf ein größeres Wachstum hindeutet.

Vryheidsfront Plus ist Teil des Bündnisses der südafrikanischen Oppositionsparteien, der Multi-Party Charter (MPC). Die bekanntesten Parteien in dieser Gruppe sind die DA und die sozialkonservative Inkatha Freedom Party, die hauptsächlich von Zulus unterstützt wird. Was sind die Hauptforderungen der MPC?

Breedt: Die MPC-Koalition konzentriert sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum, die Beendigung der Stromabschaltungen, die Bekämpfung der Kriminalität, die Sicherstellung der Grundversorgung, eine qualitativ hochwertige Bildung, die Verbesserung des Gesundheitswesens und den Aufbau eines sozialen Hilfesystems.

Welche Chancen hat das Bündnis?

Breedt: In den Provinzen Gauteng, KwaZulu Natal und dem Westkap ist die Wahrscheinlichkeit einer Koalitionsregierung sehr hoch, insbesondere in den Provinzen, die unsere Wirtschaft kontrollieren. Damit besteht eine sehr reale Möglichkeit, daß die MPC in diesen Provinzen die Regierung übernimmt.

Das südafrikanische Verfassungsgericht hat Anfang dieser Woche entschieden, daß der ehemalige Präsident Jacob Zuma, der mit seiner neuen Partei Spear of the Nation (MK), die in Umfragen bei acht Prozent lag, aufgrund einer Haftstrafe nicht mehr kandidieren darf. Welche Folgen hat dies für den Wahlkampf?

Breedt: Die einzige Sorge ist, ob es nach diesem Urteil wieder zu großen Ausschreitungen kommen wird, wie im Juli 2022, als Zuma verhaftet wurde.Die meisten Südafrikaner waren sich einig, daß Zuma nicht für einen Sitz im Parlament kandidieren kann. Das Verfassungsgericht hat dies nun bestätigt.


Tammy Breedt ist Parlamentsabgeordnete der Vryheidsfront  Plus im südafrikanischen Parlament