© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

„Ich wurde angespuckt“
Folgen des Kriegs in Nahost: Ein Protest-Camp in München darf bleiben – die Stimmung ist aggressiv und gegen Israel
Hinrich Rohbohm

Eine Israel-Flagge auf einem weißen Pappschild. Daneben blutige Hände. Und eine Babypuppe mit blutverschmiertem Hemd und blutverschmierter Hose, in der Hand eine Palästina-Fahne haltend. Das vermeintliche Blut ist nur rote Farbe, doch der Anti-Israel-Protest der knapp 4.000 Palästina-Sympathisanten auf dem Münchner Marienplatz ist echt. Stolz reckt ein älterer Mann das Schild die Höhe. Um ihn herum wehen Dutzende Palästina-Fahnen im Wind. Die der Terrororganisation Hamas nahestehende Gruppe „Palästina spricht“ hat bundesweit für Demonstrationen gegen Israel mobilisiert. Mehr als 6.000 ihrer Sympathisanten sind am vergangenen Samstag nach Berlin gekommen, knapp 4.000 nach München.

Anlaß dafür: der 76. Jahrestag der Nakba. Ein Begriff, der übersetzt soviel wie Unglück oder Katastrophe bedeutet. Es ist die Bezeichnung für Flucht und Vertreibung der Palästinenser während des Palästinakrieges zwischen 1947 und 1949 und der damit verbundenen Entstehung des Staates Israel. Das Ereignis sorgt bis heute für unversöhnliche Fronten zwischen Israelis und Palästinensern.

Letztere sehen im Einmarsch der israelischen Armee in Gaza eine zweite Nakba. Dem Einmarsch vorausgegangen war der Überfall der palästinensischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober vorigen Jahres, bei dem die Terrororganisation mehr als tausend Israelis ermordet oder verschleppt hatte. Auf dem Marienplatz stehen dicht gedrängt Männer und Frauen mit Palästinenser-Tüchern. Viele haben kleine Kinder dabei, die so für den politischen Kampf instrumentalisiert werden. Auch die deutsche Öffentlichkeit versuchen die Teilnehmer für ihren anti-israelischen Kampf zu gewinnen. „Schließt euch uns an“, fordern die Organisatoren per Megaphon-Ansage umstehende Passanten immer wieder auf.

Die blicken teils neugierig, teils irritiert aus Cafés und Restaurants in Richtung der Demonstranten, verstehen jedoch zumeist nicht, was da gerade vor sich geht und widmen sich anschließend wieder Kaffee und Kuchen. Die Botschaft der radikalen Protestler hingegen ist eindeutig. „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in alle Welt“ sowie „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“, skandieren sie. Unter den Demo-Rednern befindet sich auch Fuad Hamdan, Geschäftsführer des Dritte-Welt-Zentrums und Gründungsmitglied des Trägerkreises vom umstrittenen Eine-Welt-Haus in München. Aufgrund seiner oftmals israelfeindlichen Haltung bezeichnen Kritiker das Haus auch als „Eine-Welt-Haus ohne Israel“.

Darüber hinaus gilt es als ein Zentrum für linksradikale Gruppen. CSU und FDP hatten sich in der Vergangenheit mehrfach für eine Schließung ausgesprochen, scheiterten damit jedoch an der rot-grünen Mehrheit im Münchner Stadtrat.

„Schaut euch die Idioten da drüben an!“

Das Haus gilt zudem als Anlaufpunkt für die Anhänger der anti-israelischen Boykott-Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), zu deren Unterstützern auch Fuad Hamdan gehört. Das zentrale Ziel von BDS: Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell in der Welt isolieren. Auf der Münchner Demo-Kundgebung ist es Hamdans Tochter, die ausspricht, was alle Demo-Teilnehmer denken. „Wir können das Existenzrecht Israels nicht anerkennen“, ruft sie unter dem Jubel ihrer Anhänger, unter denen sich auch die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), eine Vorfeldorganisation der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), befindet.

Bereits seit mehr als einer Woche besetzen propalästinensische Gruppen zudem den Professor-Huber-Platz vor dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität. Pikant dabei: Der Platz ist benannt nach Kurt Huber, einem Wissenschaftler, der im Dritten Reich dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime angehörte, zudem Mitglied der Widerstandsorganisation Weiße Rose war. Unmittelbar gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich der Geschwister-Scholl-Platz. Mehr Gedenken an die Weiße Rose geht nicht. Ausgerechnet hier bringen Palästina-Sympathisanten nun anti-israelische Infoblätter unter die Leute, sammeln Spenden für entsprechende Organisationen. Die Stadt versuchte, das Camp zu verhindern, doch das Münchner Verwaltungsgericht und der Bayrische Verwaltungsgerichtshof durchkreuzten die Pläne, erklärten das Camp für rechtlich zulässig. Pro-israelische Gruppen rund um das Bündnis „München ist bunt“ haben auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Mahnwache errichtet, demonstrieren gegen Antisemitismus. „Schaut euch die Idioten da drüben an“, ruft einer der Camp-Teilnehmer hämisch in deren Richtung und lacht. Die um ihn herum Stehenden stimmen mit ein. Daß die Lage zwischen den verfeindeten Gruppen nicht eskaliert, ist ausschließlich der Polizeipräsenz zu verdanken, die das Camp permanent beobachtet.

Auch an der Münchner Uni-Besetzung sind kommunistische Gruppen maßgeblich beteiligt. Unter anderem die trotzkistische  „Revolutionäre Internationale Organisation.“ Die Gruppe wird vom bayerischen Verfassungsschutz als linksextrem und israelfeindlich eingestuft. Ihr gehört auch Kilian Gremminger an, ein 25 Jahre alter Soziologie-Student an der LMU, der zu den Initiatoren des Camps zählt und als Pressesprecher der Besetzer fungiert. Auch dem Uni-Komitee für Palästina gehört er an. Im Camp liegt zudem ein Transparent der „Offensive gegen Aufrüstung“ auf dem Rasen, einem Bündnis diverser linksextremistischer Gruppen, die neben ihrer Unterstützung für Palästina ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine einfordert. Zahlreiche Camp-Besetzer sind beim Demonstrationszug durch die Münchner Innenstadt mit dabei, bei dem es immer wieder zu vereinzelten Nicklichkeiten und Rangeleien zwischen Demo-Teilnehmern und vereinzelten Passanten kommt.

„Ich wurde angespuckt“, beschwert sich ein Passant bei den Einsatzkräften. Ein weiterer läßt sich in ein Wortgefecht mit jungen Männen mit Pali-Tüchern auf dem Kopf verwickeln. Frauen schreien plötzlich auf, es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen den Männern. Die Polizei greift ein, trennt die Streitenden.

Wie aufgeladen und aggressiv die Stimmung ist, macht ein Wortwechsel am Rande des Geschehens deutlich. „Ich hab ein Taschenmesser dabei“, raunt eine Ordnerin einem jungen männlichen Demo-Teilnehmer mit Palästinenser-Tuch zu. „Ich habe auch eines“, entgegnet dieser leise. Die Messer bleiben ungezückt, die Münchner Polizei hat die Lage im Griff. In Berlin hingegen fliegen Böller und Pyrotechnik. Auch dort war es zuvor zu Uni-Besetzungen gekommen. Weitere Besetzungen und Proteste dürften folgen. „Das ist erst der Anfang, wir werden nicht aufgeben“ , stimmt eine Rednerin die Protestler schon mal auf die kommenden Wochen und Monate ein. „Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet“, hatte der Präsident der Freien Universität (FU) Berlin, Günter Ziegler, solche Besetzungen kritisiert. Daher werde man sie nicht akzeptieren und weiterhin die Polizei dagegen vorgehen lassen. „Wir stehen für einen wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise“, betonte Ziegler. 

Seit dem 7. Oktober kam es in Deutschland zu insgesamt 2.861 Veranstaltungen mit Bezug zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Mehrheit, 1.590 Veranstaltungen, also knapp 56 Prozent, ergriffen dabei Partei für das Anliegen der Palästinenser. Verboten wurden laut Angaben des  Bundeskriminalamts 113 solcher Demonstrationen. 

Fotos: Demonstranten ziehen mit Palästinenserfahnen und Puppe durch Münchens Innenstadt: „Deutschland finan­ziert, Israel bombardiert“, skandieren sie, Protestcamp am Geschwister-Scholl-Platz