© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

Poussieren mit Prag, jubeln für Juncker
Sudetendeutscher Tag: Beim Treffen der Landsmannschaft spielt die Erinnerung an Vertreibung und Verbrechen kaum noch eine Rolle
Gernot Facius

Beim Sudetendeutschen Tag in Augsburg war es wieder zu beobachten: Es gibt sie noch, die Generation, die die Vertreibung am eigenen Leib erlebt hat. Aber sie hat an Einfluß verloren, die Politik der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) wird in der „Zeitenwende“ von anderen bestimmt. Mit den grausamen Benesch-Dekreten und ihren Folgen wird Prag so gut wie nicht mehr konfrontiert. SL-Sprecher Bernd Posselt dankte unter dem Beifall seiner in den Messehallen der Fuggerstadt versammelten Landsleute Staatspräsident Petr Pavel für seine „mutigen“ Grüße. 

Es erklang die tschechische Hymne. Pavel, so Posselt in der Augsburger Allgemeinen, habe den von Vaclav Havels Nachfolgern verlassenen Weg der Verständigung mit den Sudetendeutschen wieder aufgenommen. „Er war bereits dreimal seit seinem Amtsantritt in Bayern und hat sich in einzigartiger Weise für Versöhnung und Partnerschaft eingesetzt. Eine völlig neue, sehr erfreuliche Entwicklung ist, daß ihm jetzt eine große Mehrheit der Tschechen und der tschechischen Parteien folgt.“ 

Das Wort „Freundschaft“ fiel mehrfach bei der traditionsreichen Veranstaltung. Ministerpräsident Markus Söder nannte sie ein „Festival des Friedens“. Nahezu vergessen seien frühere politische und atmosphärische Konflikte zwischen Sudetendeutschen und Tschechen, so der Prager Botschafter in Berlin, Tomas Kafka. 

„Gemeinsamkeit im Herzen Europas“

Posselt bestätigte in dem Zeitungsinterview, daß sich seine Organisation scharf von der AfD abgrenze: „Diese Leute haben bei uns nichts verloren, ihre Mandatsträger wurden nie zu unseren Sudetendeutschen Tagen eingeladen. Ich kann nicht ausschließen, daß sich einer einschleicht, aber es gibt ein Hausverbot. Die AfD hat schon vor Jahren einen Stand für unser Pfingsttreffen beantragt. Wir haben das abgelehnt.“ Mario Hierhager, Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Jugend, nannte es „eine beängstigende Entwicklung“, daß immer mehr junge Leute mit der AfD sympathisierten. Für diese Passage gab es großen Beifall in der Messehalle. 

Bernd Posselt nutzte die Verleihung des Europäischen Karls-Preises der Landsmannschaft an den früheren EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, um scharfe Kritik „an jenen nationalen Politikern“ zu üben, „die Junckers europäisches Aufbauwerk wieder in Frage stellen“. Die Europawahl am 9. Juni müsse beweisen, „daß es nicht auseinanderdriftende tschechische und deutsche Nationalinteressen gibt, sondern eine Gemeinsamkeit im Herzen Europas, auf die vor allem die Sudetendeutschen besonderen Wert legen. Je besser das deutsch-tschechische Verhältnis ist, desto besser für unsere völkerverbindende Volksgruppe“. 

Der SL-Sprecher, der auf Platz 10 für die CSU bei der Europawahl kandidiert, wandte sich „gegen die von Putin geförderten antidemokratischen Nationalisten von der AfD und der Wagenknecht-Partei“, die von allen Demokraten abgelehnt und politisch bekämpft werden müßten. Die Regierungen der Nationalstaaten forderte er dazu auf, „Renationalisierungsmaßnahmen wie die Wiedereinführung von Kontrollen an den EU-Binnengrenzen“ zu unterlassen. Gerade für Sudetendeutsche sei es eine zentrale Errungenschaft, wieder frei von ihrem Schirmland Bayern in die „Wurzelheimat“ in der Tschechischen Republik reisen zu können. 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und 20 Jahre nach der EU-Osterweiterung sei es außerdem „unerträglich“, wie die Bundesregierung in Berlin nach wie vor die Verkehrsverbindungen in die Böhmischen Länder vernachlässige: „Wir brauchen endlich ein ‘Verkehrsprogramm Mitteleuropäische Einheit’ sowie häufigere und schnelle Zugverbindungen nach Prag, sowohl über Eger als auch über Furth im Wald.“ 

Bei der Ehrung Jean-Claude Junckers hob Posselt hervor, daß dieser „vielsprachig und visionär, sehr dem Namensgeber der Auszeichnung, Kaiser Karl IV. aus dem Haus Luxemburg, ähnelt“. Er könne sich meisterhaft in die verschiedenen Völkerfamilien und Kulturen hineindenken, und so sei Juncker zu einem der Väter des Binnenmarktes, des Euro und der EU-Osterweiterung geworden. Juncker sei ein herausragender Staatsmann und luxemburgischer Patriot, „der gleichzeitig keinem Nationalstaat gehört, sondern allen Europäern“. Kaiser Karl IV. habe die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs schon im 14. Jahrhundert dazu angehalten, außer Deutsch auch romanische und slawische Sprachen zu lernen, um dieses übernationale Klein-Europa leiten zu können: „Deshalb appellieren wir heute an die tschechische und deutsche Seite, massiv die Sprache des Nachbarn in Schule und Universität zu fördern, sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, deren Stärkung zu den zentralen Aufgaben der Sudetendeutschen gehört, voranzutreiben.“