© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/24 / 24. Mai 2024

Nichts für ungut
Urteil: Weil er die Parole „Alles für Deutschland“ verwendet hat, muß Thüringens AfD-Chef Höcke eine Geldstrafe zahlen
Jörg Kürschner

Juristen und Historiker haben die Verurteilung des AfD- Politikers Björn Höcke wegen einer angeblich nationalsozialistischen Parole kritisch aufgenommen; dessen politische Gegner hingegen reagierten mit Genugtuung. Der thüringische AfD-Chef war vergangene Woche vom Landgericht Halle an der Saale zu einer Geldstrafe in Höhe von 13.000 Euro verurteilt worden. 

Im Mai 2021 hatte er während eines öffentlichen Wahlkampfauftritts in Merseburg die Worte „Alles für Deutschland“ ausgesprochen. Dieser Satz gilt als Parole der SA, der Sturmabteilung der Nationalsozialisten, und fällt damit unter den Straftatbestand des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“. Solche „Kennzeichen“ sind nicht nur Gegenstände, sondern auch Parolen. Höcke hat gegen das Urteil Revision eingelegt, über die der Bundesgerichtshof entscheiden muß. Wird das Urteil rechtskräftig, dann ist er vorbestraft. Die Staatsanwaltschaft, die eine sechsmonatige Bewährungsstrafe und 10.000 Euro Geldstrafe gefordert hatte, will ebenfalls eine Revision prüfen.

Meinungsfreiheit ist  „stark strapaziert“ worden

Vor der letzten Instanz in Zivilsachen werden Höcke und seine drei Anwälte darauf verweisen, daß er im damaligen Wahlkampf Bezug genommen habe auf das Programm der Landespartei. Es trug den Titel „Alles für unsere Heimat“. Dementsprechend hatte der AfD-Politiker formuliert: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“. Vor den Richtern der Fünften Strafkammer des Landgerichts war der Geschichtslehrer mit seiner Darstellung gescheitert, er habe die verbotene Losung nicht gekannt. Dabei hatte der Historiker drei Geschichtsbücher aus seiner Schulzeit und seiner Arbeit als Gymnasiallehrer mitgebracht. Die SA-Parole war darin nicht zu finden. Doch das Gericht glaubte Höcke nicht. In der Urteilsverkündung erklärte der Vorsitzende Richter Jan Stengel an den Angeklagten gerichtet: „Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt“. Der Deckmantel der Meinungsfreiheit sei von dem Angeklagten „stark strapaziert worden“. Höcke habe nach dem Motto gehandelt, „mal gucken, wie weit ich gehen kann“.  Am Ende der viertägigen Verhandlung hatte sich der 52jährige als unschuldig bezeichnet und um Freispruch gebeten. Staatsanwalt Benedikt Bernzen hielt er vor, er fühle sich als politisch Verfolgter. „Irgendwie habe ich das Gefühl, daß der Spitzenkandidat der mit Abstand stärksten Partei hier beschädigt werden soll“, entgegnete Höcke dem Staatsanwalt. Am 1. September wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Die Kandidatur wird von dem Richterspruch nicht berührt. Der Anklagevertreter zeigte sich unbeeindruckt. Höcke habe vorsätzlich und wissentlich gehandelt. Ein Tatbestandsirrtum liege nicht vor. Höckes Anwalt Ulrich Vosgerau war in seinem engagierten Schlußplädoyer auch vor einer Drohung nicht zurückgeschreckt. „Wenn hier eine Verurteilung erreicht werden sollte, dann würde ich den Fall hochtreiben bis zum Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“. Nach dem Richterspruch sagte er, die Formel „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“, sei „auf den Kopf gestellt“ worden.Diese Ansicht wird auch von dem Juristen Christian Rath geteilt, der als rechtspolitischer Korrespondent für mehrere Medien tätig ist. Das Gericht habe argumentiert, daß man Höcke eine Kenntnis der SA-Parole zutraue. Für eine rechtsstaatliche Verurteilung reiche dies eigentlich nicht aus. Ihm sei unverständlich, so Rath, warum das Gericht nicht den Ausgang eines weiteren Verfahrens gegen Höcke abgewartet habe. 

Denn der AfD-Politiker wird voraussichtlich schon bald erneut vor Gericht stehen. In Halle. Im Dezember vergangenen Jahres hatte er die Parole „Alles für Deutschland“ erneut bei einer Veranstaltung in Gera verwendet. Der Anklage zufolge hat Höcke die beiden ersten Worte „Alles für“ selbst gesprochen und dann seine Zuhörer durch eindeutige Gesten ermuntert, „Deutschland“ zu rufen. Was auch geschah. Rath spricht von einem „kollusiven Zusammenwirken“, das Höcke zuzurechnen sei. In diesem Fall kann sich Höcke nicht auf ein Nichtwissen berufen, da die strafrechtlichen Ermittlungen zu seiner Rede in Merseburg im Mai 2021 längst bekannt waren. Die Beweislage wäre also eindeutig, das Urteil fundiert, Spekulationen über das Vorliegen eines Vorsatzes obsolet gewesen.

Des weiteren wird kritisch angemerkt, die Staatsanwaltschaft Halle habe zwei Jahre für die Anklageerhebung bei eindeutigem Tatbestand gebraucht. Erst ein weiteres Jahr später habe das Gericht das Hauptverfahren „wegen hinreichenden Tatverdachts“ eröffnet. Es war absehbar, daß der zeitliche Abstand zwischen Urteilsverkündung und Landtagswahl auf wenige Monate zusammenschrumpfen würde.  Und so verwundern die Reaktionen Thüringer Politiker nicht. Innenminister Georg Maier (SPD) sagte, der Zulauf für die AfD werde nachhaltig nicht kleiner werden. Die Partei versuche, sich als Opfer darzustellen. CDU-Chef Mario Voigt betonte, ein verurteilter Straftäter wie Höcke dürfe keine politische Verantwortung in Thüringen bekommen. Höcke habe es nach dem Urteil „amtlich, daß seine Nazi-Parolen nicht rechtens sind“. Es sei ein wichtiges Signal, daß Höcke Konsequenzen aufgezeigt würden, teilte die Linke-Fraktion mit. 

Für die AfD indes geriet die Verurteilung des prominenten Parteifunktionärs aus Thüringen fast zur Nebensache. Das lag zum einen an der jüngsten Prozeßniederlage im Streit mit dem Bundesamt für Verfassungschutz (JF 21/24); zum anderen kamen am vergangenen Donnerstag brisante Neuigkeiten dazu. Da hatte der Bundestag am Morgen auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München die Immunität des AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron aufgehoben. Kurz darauf durchsuchten Polizeibeamte dessen Büros im Bundestag sowie mehrere Immobilien in Bayern und ein Objekt auf Mallorca. Hintergrund ist der Vorurf, Bystron habe Geld vom prorussischen Netzwerk „Voice of Europe“ erhalten. Nach einem weiteren Beschluß des Bundestags durfte die Polizei mit speziellem Gerät auch auf die Suche nach Bystrons Mobiltelefon gehen. Der AfD-Bundesvorstand bezeichnete die Durchsuchungen als „schwerwiegenden Vorgang“. Bystron wurde aufgefordert, bis zu einer Klärung der Vorwürfe auf weitere Auftritte im Europawahlkampf zu verzichten.