Prostitution, Menschenhandel und organisierte Kriminalität sind nicht voneinander getrennt zu betrachten. Denn wer das eine will, fördert das andere. Organisierte Kriminalität ist ein Krebsgeschwür, das die Gesellschaft zersetzt. Wie kann es dazu kommen, daß Tausende von Roma, Frauen und Kinder, innerhalb Europas als Prostituierte arbeiten, fast immer unter Zwang? Wie kommt es dazu, daß Romakinder als Stricher und Nutten arbeiten und ihre Mütter und Väter als Zuhälter? Diese Fragen versucht Manfred Paulus in seinem Buch zu beantworten.
Paulus ist einer der Experten in Deutschland, wenn es um erzwungene Prostitution geht. Der Hauptkommissar ermittelte jahrzehntelang in der Rotlichtkriminalität und gilt als Fachmann zu Mechanismen des Menschenhandels. Es geht in seinem Buch nicht um Vorverurteilung oder Antiziganismus. Ganz im Gegenteil. Paulus blickt auf den geschichtlichen und kulturellen Hintergrund. Das Bild, das er von der bitteren Armut, aber auch von einer stark patriarchalen Gesellschaftsstruktur zeichnet, ist desillusionierend.
Seit Jahrhunderten leiden Roma, egal wo sie leben, unter den Urteilen der Mehrheitsgesellschaft. Sei es unter dem türkischen System, sei es unter den Sowjets, den Nationalsozialisten oder jetzt in Bulgarien oder Rumänien. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus und der immer stärker werdenden Westbindung wird dort allerdings ihr patriarchales Clan-System selbst zur immer größeren Gefahr für die Kinder und Frauen.
Aktuell leben zwölf Millionen Roma in Europa, sechs Millionen, so Paulus, von ihnen in der EU, geschätzte zwei Millionen allein in Rumänien. Dort sind sie, selbstverschuldet oder nicht sei dahingestellt, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Rumänien wurde in den 1990er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Anziehungspunkt des Sextourismus. Viele Prostituierte waren und sind Roma. Anfang 2014 wurde das Prostitutionsverbot aufgehoben. Der Menschenhandel blühte auf. Die Mädchen, oft ohne jegliche Sprachkenntnisse, werden auch nach Deutschland verfrachtet. Über neunzig Prozent der Prostituierten in Deutschland stammen aus dem Ausland. Hier arbeiten sie unter unvorstellbaren Verhältnissen. Paulus nennt sie „Sexsklaven“. Anhand von Fallstudien beschreibt er das Leben der Opfer dieser Menschenhändler, die ihre Ware teilweise von den Eltern oder Familienmitgliedern in die Hand gedrückt bekommen.
Doch Paulus zeigt auch Wege aus dieser Kriminalität auf. Selbst wenn man sich in Deutschland nicht auf das sogenannte „Nordische Modell“ einigen sollte, könnten durch strenge und einheitliche Meldeauflagen, Verbot des Straßenstrichs und nicht zuletzt wachere Polizisten diese Kinder und Frauen vor einem grausamen Schicksal bewahrt werden. Unbedingt lesenswert.
Manfred Paulus: Verkaufte Menschen. Roma in der Prostitution. Promedia Verlag, Wien 2024, broschiert, 232 Seiten, 25 Euro