© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/24 / 17. Mai 2024

DDR-Weltniveau in der erinnerungspolitischen Systemkonkurrenz
Zweierlei Gründungstage

Wenige Wochen bevor am 23. Mai 1949 das Bonner Grundgesetz (GG) verkündet wurde, gaben 40 Prozent der Einwohner in der US-Besatzungszone bei einer Umfrage an, diese künftige Verfassung sei ihnen gleichgültig, nur 21 Prozent zeigten sich an ihr „interessiert“. Noch 1955 kannte die Hälfte der Bundesbürger das GG nicht. Zu dieser Ignoranz paßte eine andere Umfrage aus den frühen Fünfzigern, der zufolge 98 Prozent der Westdeutschen meinten, wahlweise das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die Friedensjahre des NS-Reiches seien „Deutschlands beste Zeit“ gewesen. Darum verwundere nicht, so der Potsdamer Historiker Martin Sabrow, warum die Gründung der Bundesrepublik kein Staatsfeiertag im kollektiven Gedächtnis verankerte. Ganz andere geschichtspolitische Folgen zeitigte die DDR-Staatsgründung am 7. Oktober 1949. Vierzig Jahre blieb der „Republikgeburtstag“ für das SED-Regime ein Legitimationsfaktor ersten Ranges und wurde zur Massenmobilisierung genutzt (Aus Politik und Zeitgeschichte, 18–20/2024). Bei der „Sinnstiftung in der Systemkonkurrenz“ habe die DDR also die Nase vorn gehabt, so daß ihr Chefpropagandist Karl-Eduard von Schnitzler noch am 23. Mai 1989 darüber höhnen konnte, mit welchem Mangel nationaler Würde der Bonner Teilstaat zustande kam. (ob)  www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz