© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/24 / 17. Mai 2024

Der Wurm im Innern
Kino II: Der dänische Schocker „Nachtwache 2“ ist ein heißer Anwärter auf den Preis für den überflüssigsten Film des Jahres
Dietmar Mehrens

Sind es wirklich schon dreißig Jahre?“ ist diejenige Textzeile aus dem Drehbuch von Ole Bornedal, die vermutlich am meisten über seinen Film verrät. Vor dreißig Jahren legte der Regisseur mit „Nattevagten“, wie „Nachtwache“ im dänischen Original heißt, einen mit vergleichsweise einfachen Mitteln gedrehten Reißer vor, der zum Kassenhit wurde und dem Dänen die Einladung einbrachte, seinen Film drei Jahre später für den US-Markt mit Ewan McGregor und Nick Nolte in den Hauptrollen noch einmal zu inszenieren. Das Ergebnis hieß „Freeze – Alptraum Nachtwache“ und kam im August 1998 in die deutschen Kinos. Es ging darin um einen Jurastudenten namens Martin, der eine Stelle als Aushilfsnachtwächter in der Pathologie eines Krankenhauses antritt. Parallel fahndet draußen die Polizei nach einem Serienmörder, der die Stadt in Atem hält. Während Martin durch leere Gänge und Räume bis zur Leichenhalle schreitet, greift das Grauen um sich. 

Ein weitgehend logikfrei verfaßtes Drehbuch

Und jetzt sind also tatsächlich schon dreißig Jahre vergangen, und Bornedal hat in der großen Welt des Kinos keine Bäume ausgerissen, allerdings mit der auf Hollywood-Niveau inszenierten Serie „1864“ über den Deutsch-Dänischen Krieg eine famose Fernsehproduktion abgeliefert. Nun war die Versuchung groß – auch sein deutscher Kollege Chris Kraus versuchte das mit seinem Film „15 Jahre“ (JF 3/24) –, mit einer Nachziehnummer an den Erfolg seines Karrieredurchbruchs anzuknüpfen. Die hat nun aber tatsächlich das Zeug dazu, den goldenen Blumentopf für den überflüssigsten Film des Jahres zu gewinnen. Denn mit der oben gelieferten Kurzbeschreibung ist auch das Wesentliche über „Nachtwache 2 – Demons Are Forever“ gesagt. Bornedal hat aus der Originalgeschichte seines Erfolgsfilms von 1994 ein paar Ingredienzen herausdestilliert und um diese herum eine krude Handlung gestrickt, die so gewollt und an den Haaren herbeigezogen wirkt, wie sie es in Anbetracht des Zwecks, dem sie dient, nämlich Erfolg zu reduplizieren, nur sein kann.

Dreißig Jahre sind es also her, seit Martin (Nikolaj Coster-Waldau) dem irren Killer Peter Wörmer (Ulf Pilgaard) entrann, der in den Gängen der Pathologie sein Unwesen trieb, in der Martin damals als Student Wache schob. Mit seiner Frau, die ebenfalls in das grausige Treiben Wörmers verstrickt wurde, hat er eine reizende Tochter namens Emma (Fanny Leander Bornedal, Tochter des Regisseurs). Und die hat nichts Besseres zu tun, als – raten Sie mal – sich als Studentin in genau den Räumlichkeiten als Aushilfskraft zu verdingen, in der all das Unheil begann, unter dem auch sie als Tochter bis heute zu leiden hat. Ihre Mutter hat sich nämlich infolge einer posttraumatischen Dauerbelastungsstörung erhängt. Emma erklärt das so: Seit den Ereignissen von damals sei Wörmer „wie ein Wurm in ihrem Innern“ gewesen. Man beachte das an Genialität grenzende Wortspiel „Wurm“ (englisch „worm“) – „Wörmer“! 

Emmas Vater hängt oft mutlos in den Seilen, ist medikamentenabhängig. „Es ist nicht gut, wenn ein Elternteil verletzlicher ist als das Kind“, muß sich Martin, der therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt, von seiner Tochter belehren lassen. Es quält sie die Frage: „Hab’ ich die Gene, Papa?“ Sie habe zu 95 Prozent die Gene ihrer Mutter, antwortet der, aber das Selbstzerstörungsgen sei nicht dabei. Emma glaubt ihm nicht und beschließt, dem Mysterium Peter Wörmer, das so massiv auf ihrer Familie lastet, selbst auf den Grund zu gehen, indem sie sich unter falscher Identität Zugang zu seiner Zelle verschafft und den erblindeten Schwerverbrecher interviewt – kleine Anleihe bei „Das Schweigen der Lämmer“ (1991). Obwohl man ihr in der Haftanstalt versichert, Wörmer sei inzwischen völlig harmlos und könne keiner Fliege etwas zuleide tun, kommt es dabei zu einem ersten Zwischenfall, der Emma eigentlich Warnung genug sein müßte. Trotzdem setzt sie ihre Arbeit in der Pathologie fort und gerät dabei in tödliche Gefahr. Irgendwer hat hier nämlich geschworen, Rache zu nehmen. Das Ergebnis sind nach dem Vorbild des Vorgängers von 1994 einige unappetitliche und unnötig blutige Gruselszenen.

„Männer explodieren, Frauen sind wie rostige Bomben, die irgendwann später hochgehen“, ist so etwas wie die Moral von der Geschicht’ und eine der wenigen guten Textzeilen in dem von Bornedal weitgehend logikfrei verfaßten Drehbuch. Überhaupt kommt diesmal vor allem Frauen aufgrund des in der Filmbranche allgegenwärtigen Drucks, zeitgeistkonform zu inszenieren und die Postulate einer feministischen Filmpolitik zu erfüllen, eine tragende Rolle zu. Maria, eine Kommilitonin von Emma, die in das Ungemach verwickelt wird, das die Aushilfsnachtwächterin auslöst, wird sogar von einer Frau (Nina Rask) gespielt, die inzwischen ein Mann oder nicht-binär oder einfach androgyn oder alles zusammen gleichzeitig ist. Man fragt sich, was das soll, und lernt, daß ein Schocker heute eben auf verschiedenen Ebenen verstören kann. Kinostart ist am 16. Mai 2024

Foto: Studentin Emma (Fanny Leander Bornedal): Nachtwächterin in der Rechtsmedizin