© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/24 / 17. Mai 2024

Ausbruch aus der Selbstsucht
Patriotismus: Ernst Moritz Arndt und Caspar David Friedrich im Widerstand gegen Deutschlands innere und äußere Feinde
Wolfgang Müller

Die 1806 errichtete französische Fremdherrschaft auf dem Territorium des gerade aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die sie bis 1815 brechenden Befreiungskriege und die darauf folgende „Restauration“ monarchischer Macht sind die zentralen Erfahrungen im geistigen, künstlerischen und politischen Leben des Publizisten Ernst Moritz Arndt und des knapp fünf Jahre jüngeren Landschaftsmalers Caspar David Friedrich. Während dieser Befund in der Arndt-Forschung zum Klischee vom „Sänger des Befreiungskrieges“ gerann, wurde die Biographie seines pommerschen Landsmanns weit weniger eng mit dem napoleonisch imprägnierten Epochenwandel verklammert. 

Vielmehr blieb der persönliche Anteil, den Friedrich am Zeitgeschehen nahm und ebenso dessen „vaterländische“ Spiegelung im Werk des Künstlers selbst während der ultranationalistisch getönten Rezeptionsphase ab 1933 eher unterbelichtet. Und nach 1945 ging zumindest die westdeutsche, lange im Fahrwasser Helmut Börsch-Supans, ihres inzwischen 91jährigen Nestors, segelnde Friedrich-Forschung diesen im Œuvre dicht gesäten „patriotischen Elementen peinlichst aus dem Weg“ (Jost Hermand). Um stattdessen seine Bildmotive auf christliche Allegorien zu reduzieren oder ihn zum zeitenthobenen Vorläufer des Kubismus und Expressionismus zu verbiegen. Nur in der DDR, wo die Erinnerung an die Befreiungskriege schon wegen der 1813 geschlossenen „deutsch-russischen Waffenbrüderschaft“ zum „nationalen Erbe“ zählte, galt der mittlerweile zum „bedeutendsten Landschaftsmaler aller Zeiten“ aufgerückte Greifswalder Handwerkersohn neben Ernst Moritz Arndt als „aufrechter Demokrat“, als verehrungswürdiger Streiter für die innere und äußere Freiheit des deutschen Volkes.

Erst die Studie über „Caspar David Friedrichs nationale Trauerarbeit“, die der Literatur- und Kulturhistoriker Jost Hermand 1979 veröffentlichte, vergegenwärtigte auch bundesdeutschen Friedrich-Liebhabern das leidenschaftlich nationalpolitische Engagement des Malers. Ohne darauf Bezug zu nehmen, hat dann die 2019 erschienene, erste umfassende, alle wissenschaftlichen Ansprüche erfüllende Biographie des Journalisten und kunsthistorischen Außenseiters Detlef Stapf dazu weiteres Material in Fülle erschlossen. 

Die vergleichende Untersuchung, die der Greifswalder Romanist Reinhard Bach zu Arndt und Friedrich jetzt vorlegt, profitiert vielfach von den mit heimatkundlicher Akribie betriebenen Recherchen Stapfs, des langjährigen Feuilletonchefs des Neubrandenburger Nordkuriers. Wesentlich unter Arndts Einfluß vollzog sich demnach Friedrichs Wandlung vom schwedisch-pommerschen Royalisten zum deutschen „Nationalisten, Chauvinisten und Franzosenhasser“. Wie Stapf auch herausfand, trafen sich Arndt und Friedrich um 1804 häufig mit Friedrich Ludwig Jahn, der als Hauslehrer in Neubrandenburg lebte, schon über  die „Beförderung des Patriotismus“ publiziert hatte und nun seine Freunde für die Vision eines vereinigten Deutschlands begeisterte. Ein Schlüsselbild der Romantik, „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ (1819/20), spielt auf diese politische Erziehung an. Links ist Jahn verewigt, rechts Friedrichs Schulfreund, der Neubrandenburger Pastor Franz Christian Boll, der Jahn zum Aufbau einer Turnbewegung inspirierte, die sich 1813 als Avantgarde nationaler Mobilmachung bewährte.

Friedrich war also weltanschaulich hinreichend konditioniert, um sein Dresdner Atelier als Treffpunkt für Napoleon-Feinde einzurichten, die sich gern, wie Bach mit einer oft zitierten Erinnerung des Arztes und Naturphilosophen Gotthilf Heinrich Schubert belegt, die „Ergießungen seines deutschgesinnten Herzens“ zur Lage des Vaterlandes anhörten, die an Militanz denen Arndts, Jahns und des seit 1807 in Dresden lebenden Heinrich von Kleists nicht nachstanden. Dessen wegen der Zensur nicht aufführbares antifranzösisches Agitationsstück „Die Herrmannsschlacht“ hatte in Friedrichs Kreis als Vorlesung „Premiere“. 

In erster Linie wirkt Friedrich politisch aber durch seine Bilder, die das Publikum auf die Erhebung gegen Napoleon einstimmen. Deren sakralisierte, mit nationalen Symbolen und Emblemen, mit Eichen, Grabmälern und gotischen Ruinen gespickte „christgermanische Landschaften“ (Hermand) gleichen patriotisch durchglühten Allegorien von Tod und Auferstehung und nähren  in verschlüsselten Botschaften die Hoffnung, daß die nur schlummernde deutsche Kraft erwachen und das Joch des „Antichristen“ Napoleon abschütteln werde.

Vom Frühjahr 1813 an, als die Befreiungskriege beginnen, äußert sich Friedrichs patriotische Gesinnung offener: „Der Chasseur im Walde“ (1814) begrüßt den Untergang von Napoleons Grande Armee in Rußlands Schneewüsten. Bald darauf ist unter einem strafferen Zensurregime aber wieder verdecktes Malen geboten. Denn die Rede vom souveränen Volk, das für seinen kriegerischen Einsatz die versprochenen Verfassungen und womöglich, wie Arndt souffliert, die Einheit Deutschlands einfordern könnte, hörten die Herrschenden ungern. Friedrichs Kunst beschränkt sich daher auf die Verklärung der Freiheitskämpfer. Ganze Serien von Entwürfen für Obelisken, Sarkophage, Säulen entstehen, darunter ein Projekt zum Gedenken an den „edlen Scharnhorst“, für das er Arndts Rat einholt.

Als 1819 der Burschenschafter Carl Ludwig Sand den „Reaktionär“ August von Kotzebue erdolcht, nutzt das „System Metternich“ den Anlaß, um mit den Karlsbader Beschlüssen die Unterdrückung demokratischer „Demagogen“ zu perfektionieren. Was zur Verhaftung Jahns, zu Professor Arndts Amtsenthebung und zur Zurücksetzung Friedrichs in der Dresdner Kunstakademie führt. Trotzdem wagt der es, in seinen Kompositionen weiter subtile Signale des Widerstands zu senden. Eins davon ist jener Mond mit seinem markanten Lichthof im „Zwei-Männer-Gemälde“, den Bach als Himmelszeichen interpretiert, das wetterkundigen Küstenbewohnern ein nahes Sturmtief ankündigt. Ins Politische übersetzt: Friedrich wecke mit diesem Bild Hoffnung auf einen revolutionären Sturm, der der „teutschen Republik“ den Weg ebnet. Ähnlich sei „Huttens Grab“ (1823) zu dechiffrieren, das letzte seiner politischen Bekenntnisbilder, das einerseits die Poesie der Ritterlichkeit und des Christentums als „Antithese zum Zeitalter der Commercial Society“ beschwöre. Andererseits ehrt es Ulrich von Hutten, der 1523 erstmals „Hermann den Cherusker“ literarisch feierte, der für Arndt, Jahn, Friedrich und deren Anhang in den Burschenschaften zum Vorreiter des protestantischen Nationalismus avanciert war.

Nachdem Bach vor allem Friedrichs patriotisches Relief geschärft hat, verlagert er den Schwerpunkt seiner Arbeit vom Biographischen hin zur politischen Ideengeschichte, in die er Arendts und Friedrichs Positionen einbettet. Dabei entfaltet der Autor die nicht sonderlich originelle, aber in diesem Kontext doch fruchtbare These, daß die Romantik sich gegen das eindimensional materialistische, utilitaristische und atheistische Menschen- und Gesellschaftsbild der französischen Aufklärung wende. Deren Apostel wie La Mettrie und Condorcet erklären menschliches Denken und Verhalten unter strikter Zurückweisung jeglicher Spiritualität und versprechen sich von einer ohne Religion auskommenden Vernunftherrschaft größtes soziales Glück. Bach wertet  dies als „banalisierte Menschenbild“ für eine Gesellschaft, die seit der bürgerlichen Revolution von 1789 allzu bedenkenlos gelernt habe, sich den Regeln des  kapitalistischen Marktes zu unterwerfen. Eine Entwicklung, die sich übrigens in einer unvergeßlichen Anekdote kondensiert: Der Mathematiker Pierre Simon de Laplace, der ab 1799 eine vielbändige „Himmelsmechanik“ vorlegte, in der mit keinem Wort von Gott die Rede ist, soll seinem darob höchst erstaunten Förderer Napoleon I. lapidar geantwortet haben: „Sire, ich brauche diese Hypothese nicht.“ Heinrich Heine fand für die daraus erwachsene geistige Situation des frühindustriellen  Kapitalismus dann 1835 die einprägsame Sentenz: „Die heutige Religion besteht in der Geldwerdung Gottes oder der Gottwerdung des Geldes.“ 

Gegen diese extreme Reduktion des Humanen stehe das Menschenbild der romantischen Sozialtheorie, das die Zerstörung des „Reiches der Selbstsucht“ (Fichte) propagierte. Wenn die Deutschen ihre Freiheit wiedererlangen wollten, brauche es den neuen, gemeinschaftstauglichen Menschen, den für den Dienst am Vaterland erzogenen Staatsbürger. Das aufklärerische Dogma des Eigennutzes und der Vereinzelung trifft auf die höhere Sittlichkeit des Patriotismus. Nur solidarisches Verhalten, so lautet Arndts Credo, führe zur Selbstbefreiung und letztlich zur selbstbestimmten politischen Existenz eines Volkes. Nichts anderes meine Arndt in seinen den „Geist der Zeit“ attackierenden Essays, Reden, Liedern und Flugschriften. Die nichts zu tun haben, wie Bach im engen Anschluß an die hermeneutischen Mikroanalysen des im vorigen Herbst verstorbenen Greifswalder Historikers und Archivars Dirk Alvermann klarstellt, mit jenen unterirdischen Denunziationen („völkisch, fremdenfeindlich, rassistisch“) akademischer „Jetztmenschen“ (Jacob Burckhardt), die sich eine andere Zeit als ihre Gegenwart gar nicht vorstellen können. Zu korrigieren ist allerdings Bachs Einschätzung, es handle sich bei alldem um „fahrlässige Geschichtsfälschung“, denn hier ist uneingeschränkt Vorsatz zu bejahen, wie am langjährigen Haberfeldtreiben gegen Arndt als Namenspatron der Greifswalder Universität abzulesen ist.


Bild: Caspar David Friedrich, Huttens Grab, Öl auf Leinwand, 1823: Ein politisches Bekenntnisbild, das die Poesie der Ritterlichkeit beschwört

Reinhard Bach: Caspar David Friedrich & Ernst Moritz Arndt. Identitätssuche im Epochenumbruch. Karl- Lappe-Verlag, Greifswald 2023,broschiert, 171 Seiten, 14,90 Euro