© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/24 / 17. Mai 2024

Noteingriffe ins Stromnetz
Energiewende: Unternehmen beklagen zunehmende Ausfallkosten
Jörg Fischer

Zwischen 1989 und 2019 wurden in Deutschland elf AKW abgeschaltet. Die Reaktoren der verbliebenen sechs gingen unter der Ampel vom Netz – bei Abschaltung von Kohlekraftwerken. Doch es gab weder einen Blackout noch größere regionale Netzabschaltungen (Brownout). „Wir sehen heute, daß die Stromversorgung weiter sicher ist“, freute sich Robert Habeck. „Wir haben am 15. April 2023 das vollzogen, was die schwarz-gelbe Koalition 2011 beschlossen hat, und daher die letzten deutschen Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet.“ Dennoch sei man „sicher durch zwei Winter gekommen“, so der Wirtschaftsminister.

Seine Parteifreundin Katharina Schulze, Grünen-Fraktionschefin im Bayerischen Landtag, behauptete sogar: „Wir hatten und haben ausreichend Strom zur Verfügung. Die Strompreise sind heute niedriger als vor dem AKW-Aus.“ Ein Blick in die Strompreisanalyse des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zeigt jedoch: 2018, vor dem Aus der letzten sieben AKW, kostete eine Kilowattstunde (kWh) Durchschnittshaushalte 29,47 Cent – fünf Jahre später waren es 45,73 Cent. Und das nur, weil die abgeschaffte EEG-Umlage für Ökostromerzeuger (2018: 6,79 Cent) nun über Steuern und die „CO₂-Bepreisung“ von Benzin, Diesel, Heizöl und Gas querfinanziert wird.

Mehr Redispatch-Maßnahmen zur Verhinderung eines Brownouts?

Auch „ausreichend Strom“ gibt es nicht mehr: 2023 mußte Deutschland 69 Terawattstunden (TWh) importieren, „ein Zuwachs von 20 TWh bzw. 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, wie die grünennahe Lobbyorganisation Agora Energiewende (Direktor bis 2021: Patrick Graichen) in ihrer Marktanalyse „Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023“ einräumen mußte. Der Stromexport lag nur bei 58 TWh, das waren 19 TWh weniger als 2022. Privatverbraucher spüren das derzeit kaum, aber „Stromausfälle machen vielen Unternehmen zu schaffen“, klagte Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer am Montag bei der Vorstellung einer DIHK-Unternehmensbefragung vom Februar 2024.

42 Prozent der 1.000 antwortenden Betriebe hätten 2023 kurze Stromausfälle unter drei Minuten verzeichnet, in der Industrie sogar die Hälfte der Befragten. Knapp ein Drittel (28 Prozent) hatten Stromausfälle, die über drei Minuten andauerten, in der Industrie geringfügig mehr (29 Prozent). „Für ein Drittel (32 Prozent) verursachten die Stromausfälle zusätzliche Kosten von bis zu 10.000 Euro. Für 15 Prozent der Befragten beliefen sich die Kosten von Stromausfällen auf 10.000 bis 100.000 Euro. Ein kleiner weiterer Anteil (zwei Prozent) hatte sogar Kosten von über 100.000 Euro“, heißt es in der DIHK-Studie. „Als Reaktion auf Stromschwankungen richteten im letzten Jahr sieben Prozent der Betriebe Notstromaggregate zur Abdeckung von Spitzenlasten ein und elf Prozent Energiespeicher.“

Nur 13 Prozent der Stromausfälle seien durch Kabelschäden und Bauarbeiten sowie acht Prozent durch Gewitter verursacht worden – das gab es auch vor dem Atomausstieg. Für elf Prozent der Stromausfälle seien die Netzbetreiber verantwortlich, lediglich drei Prozent seien auf Netzschwankungen zurückzuführen – und das wirft Fragen auf: Denn zwei Drittel der Firmen konnten keine Ursache identifizieren. Daher fordert die DIHK „ein Auskunftsrecht über die Ursachen von Stromausfällen und das Überarbeiten der Entschädigungsregelungen“. Und solange die Netzstabilität nicht wieder gewährleistet sei, dürften „keine weiteren Anlagen abgeschaltet werden“, forderte Dercks.

Die BDEW-Redispatch-Studie macht wenig Hoffnung: Durch den Ausbau der schwankenden Solar- und Windstromerzeugung kommt es im deutschen Übertragungs- wie auch im Verteilnetz immer häufiger zu Netzengpässen, Über- und Unterspannungen sowie einem Stromeinspeisemanagement in steigendem Umfang. Dieser „Redispatch“ zur Brownout-Verhinderung kostete 2013 nur 113,3 Millionen und 2018 immerhin 388,2 Millionen Euro – 2022 waren es bereits 2,7 Milliarden Euro.


 bdew.de/media/documents/BDEW-Redispatch_Bericht_2023_zum_Berichtsjahr_2022.pdf