© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/24 / 17. Mai 2024

Bürgergeld senkt Arbeitsanreiz
Arbeitsmarkt Studie: Hartz-IV-Reform verringert Zahl Arbeitsloser, die in Lohn wechseln
Mathias Pellack

Seit der Einführung des Bürgergelds im Jahr 2023 ist die Debatte über dessen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in vollem Gange. Befürworter des neuen Sozialsystems loben die erhöhten Regelsätze und die milderen Sanktionen, während Kritiker eine sinkende Jobbereitschaft beklagen.

Eine erste wissenschaftliche Studie stützt nun die Befürchtung der Kritiker: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat festgestellt, daß die Zahl der Arbeitsaufnahmen im Jahr nach der Einführung des Bürgergelds um 5,7 Prozent gesunken ist. 

Zuvor hatte die Aussetzung der Sanktionen seitens der Ampel die Zahl bereits um knapp vier Prozent sinken lassen. Auch eine Gerichts­entscheidung in Karlsruhe hatte schon einen negativen Effekt von 2,6 Prozent gehabt. Das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, daß monatelange Leistungskürzungen für Hartz-IV-Bezieher teilweise verfassungswidrig seien. Auch Kürzungen von 60 Prozent und mehr hält das Oberste Gericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz.

IAB-Forscher Enzo Weber führt den Einbruch der Vermittlungsrate der Arbeitslosen auf die höhere Attraktivität des Bürgergelds im Vergleich zu Hartz IV zurück. Dazu zählen höhere Regelsätze, mildere Sanktionen und die Möglichkeit, mehr Vermögen und Wohnraum zu behalten.

Weber fürchtet, daß sich die geringere Jobbereitschaft langfristig negativ auf die Arbeitsmarktintegration und die Höhe der Arbeitslosenquote auswirken könnte. Um dem entgegenzuwirken, schlägt er vor, die Anreize zur Arbeit zu erhöhen, indem Bürgergeldempfänger mehr von ihrem Verdienst behalten dürfen. Jobs und Qualifizierung müßten stärker miteinander verbunden und die Sanktionen schneller, schärfer und länger angewendet werden.

Die Ergebnisse der IAB-Studie dürften die politische Debatte über das Bürgergeld weiter anheizen. Die CDU fordert eine Abschaffung des Bürgergelds, während die SPD an den Grundzügen festhalten will, aber unter Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gerade die Sanktionen für nicht kooperative Arbeitslose verschärft. Die FDP möchte, daß Jobverweigerern, die Absprachen nicht einhalten, die Leistungen sofort um 30 Prozent gekürzt werden können. Gegenwärtig kann das Jobcenter die Leistungen stufenweise um bis zu 30 Prozent kürzen – oder nach der jüngsten Reform für zwei Monate komplett entfallen lassen.


Die Vermittlungsrate von Arbeitslosen sinkt

Die Vermittlungsrate stellt den Prozentsatz der Arbeitslosen (Bürgergeld- und Arbeitslosengeldempfänger) dar, die jeden Monat in eine Beschäftigung wechseln. Den heftigsten Einschnitt verursachte der Corona-Lockdown ab Anfang 2020. Der Effekt wurde ebenso wie die Eingliederung von Ukrainern aus den Daten herausgerechnet. Es zeigt sich, daß immer weniger Leistungsbezieher in eine Arbeit wechseln.


siehe auch Info-Grafik in JF PDF-Ausgabe