Das zweimal kräftig erhöhte Bürgergeld erhitzt die Gemüter in Deutschland. Es gibt fast vier Millionen arbeitsfähige Empfänger; dennoch werden die Anreize, keine Arbeit aufzunehmen, sowie die Sogwirkung auf Millionen ungelernter Migranten immer wieder bestritten. Mit der Mär vom Anlocken nur der „Ärmsten der Armen“ muß indes aufgeräumt werden, denn die Geld- und Sachleistungen der öffentlichen Hand übersteigen locker die Nettoverdienste selbst von Facharbeitern. Wir rechnen das durch anhand einer fünfköpfigen Bedarfsgemeinschaft mit Mann, Frau und drei Kindern unterschiedlichen Alters, die kein eigenes Einkommen beziehen. Sie leben in Emden, einer Stadt in Norddeutschland mit rund 50.000 Einwohnern.
Die Leistungen, die dieser Musterfamilie zustehen, können in vier Blöcke aufgeteilt werden (siehe Tabelle). Erstens, direkte Geldleistungen, das sind 506 Euro je Elternteil (Haushaltsvorstand) und altersabhängig 357 bis 471 Euro je Kind, insgesamt 2.230 Euro.
Zweitens wären da die Sachleistungen für Miete, Heizung, Warmwasser. Die Stadt Emden hält eine Wohnfläche von 95 bis 105 Quadratmetern für angemessen (626 Euro Kaltmiete). Hinzu kommen 1,37 Euro je Quadratmeter für Heizkosten und Warmwasser, maximal also 130,15 Euro. Gerundet ergibt das 756 Euro an Unterkunfts- und Heizungskosten. In einer Großstadt wären das etliche hundert Euro mehr; wir kommen darauf zurück.
Ohne Arbeit bezahlt werden wie ein Ingenieur mit zwei Jahren Berufserfahrung
Damit nicht genug. Drittens gibt es Sachleistungen oder geldwerte Vorteile. Da ist zunächst die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- einschließlich Pflegeversicherung (GKV). Ein erwerbstätiger Alleinverdiener mit einem Durchschnittsmonatslohn von 4.300 Euro – darauf wird es hinauslaufen – müßte für seine Familienversicherung 821 Euro bezahlen, wofür je zur Hälfte Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufkommen. Für die Bedarfsgemeinschaft schließen die Städte und Gemeinden günstigere Tarife ab – etwa mit der regionalen AOK oder der IKK – 90 Euro pro Kopf. Damit gäbe es aber noch eine deutliche Lücke zu dem erwähnten Durchschnittsbeitrag.Diese füllen andere Versicherte durch Quersubventionierung auf, welche höhere GKV-Beiträge entrichten. Somit erhält die Bedarfsgemeinschaft ihre Krankenversicherungsprämie teils direkt aus kommunalen Steuern, teils indirekt aus Beitragsgeldern anderer Versicherungsnehmer, so daß wir die gesamten 821 Euro als geldwerte Leistung der Solidargemeinschaft verbuchen.
Weitere geldwerte Vorteile entstehen durch den Erlaß der Kindergartengebühr für das Kind im Kita-Alter. Wir setzen die Hälfte der in Emden höchsten Stufe von 450 Euro an, mithin 225 Euro. Hinzu kommen der Erlaß der pro Haushalt gezählten Rundfunkgebühr von zur Zeit 18,36 Euro im Monat sowie die Prozeßkostenbeihilfe. Letztere entspricht dem Marktwert einer Rechtsschutzversicherung, die wir mit 360 Euro im Jahr und damit 30 Euro im Monat veranschlagen.
Schließlich, als vierter Block, sind die Leistungen aus „Bildung und Teilhabe“ zu nennen, für die wir uns auf ein Info-Blatt der Stadt Emden beziehen. Da sind zum einen 174 Euro pro Jahr und Kind für Bücher, Stifte, Hefte usw., die automatisch ausgezahlt werden. Unsere Beispielfamilie mit zwei schulpflichtigen Kindern würde hieraus 29 Euro je Monat abgreifen. Dazu werden Klassenfahrten und Schulausflüge gezahlt. Wir gehen von einem Ausflug pro Kind und Jahr im Umfang von 300 Euro aus, was 25 Euro pro Monat entspricht. Nachhilfe kann übernommen werden. Da viele Kinder aus sozial schwachen Familien stammen und die Korrelation zwischen dem Bildungs- und Leistungsstand der Eltern und Kindern durchaus hoch ist, gestehen wir beiden Schulkindern je 8 Stunden Nachhilfeunterricht im Monat zu, Kostensatz 15 Euro. In solch einem Falle würde die Stadt Emden also 240 Euro im Monat zuschießen, mit Ausnahme der Ferienmonate. Schließlich wird auch die Schulverpflegung gezahlt – 4,20 Euro mal 17 Schultage im Monatsdurchschnitt, da wiederum die Ferienzeit herausgerechnet werden muß. Macht 137 Euro monatlich. Obendrein kommt ein Zuschuß zur Schülerbeförderung ab Klasse 11 in Frage – ca. 30 Euro – und die Mach-mit-Karte für Freizeitaktivitäten von 15 Euro im Monat, bei zwei Schülern also ebenfalls 30 Euro im Monat.
Alles zusammen erhält die fünfköpfige Emder Bedarfsgemeinschaft Zuwendungen in Form von Geld- und Sachleistungen in Höhe von 4.561 Euro im Monat, was einem Netto-Stundenlohn von 26,99 Euro entsprechen würde – mehr als dem doppelten des Mindestlohns.
Die Bürgergeldbedarfsgemeinschaft erhält unterm Strich so viel, als wäre der Haushaltsvorstand von Beruf Ingenieur mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung im Anlagenbau – rund 71.500 Euro brutto laut ingenieur.de. Dieser muß nämlich 12.310 Euro an Einkommensteuern entrichten plus 13.510 Euro für die gesetzlichen Sozialversicherungen, erhält jedoch für seine drei Kinder 750 Euro Kindergeld im Monat, mithin 9.000 Euro im Jahr. Summa summarum erhält dieser Vergleichsmensch ein Netto von 4.557 Euro. Er ist ein Facharbeiter und wird als solcher bezahlt, während die Bedarfsgemeinschaft genausoviel „Netto“ hat, ohne morgens aufstehen zu müssen, ohne Staus und Ärger mit der DB und am Arbeitsplatz.
Wenn wir von den Gegebenheiten einer Großstadt ausgehen, dann müssen wir insbesondere die Mieten nach oben korrigieren. Angenommen, die 95 Quadratmeter Wohnung kostet in der Metropole 1.100 Euro kalt, dann erhöhen sich die Geld- und Sachleistungen an die Bedarfsgemeinschaft auf 5.035 Euro. Der Alleinverdiener in einer fünfköpfigen Familie müßte dann schon 81.300 Euro im Jahr oder 6.775 Euro im Monat brutto nach Hause bringen, um auf netto 5.028 Euro zu kommen. Der dafür notwendige Bruttostundenlohn läge bei fast genau 40 Euro. Natürlich sind dies Beispielrechnungen, doch sie lehnen sich sehr eng an die gesetzlichen Grundlagen an und dürften somit ein reelles Bild der skizzierten Musterfamilien abgeben.
Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Emden/Leer.
siehe auch Info-Grafik in JF PDF-Ausgabe