Der Tonfall schien fröhlich und aufgeregt, und doch merkte man dem ersten offiziellen TikTok-Video der Grünen an, daß sie sich ein wenig in der Defensive wähnt. Ganze sechsmal spielt das Video auf die AfD an, sei es, daß die junge Frau vor der Kamera blaue Herzen wegboxt, Alice Weidel aus dem Bild schiebt oder ein Bild des EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zerreißt. „Reclaim TikTok“ flimmert an einer Stelle durchs Bild, beinahe als würde sich die Partei auf feindliches Gebiet vortasten.
Aber möglicherweise tut sie das auch. Vor zwei Jahren gaben noch 27 Prozent der in Deutschland lebenden 14- bis 29jährigen an, die Grünen wählen zu wollen, wie die damalige Studie „Jugend in Deutschland“ der Jugendforscher Klaus Hurrelmann, Kilian Hampel und Simon Schnetzer ergab. Zwei Jahre später sind es lediglich 18 Prozent. An der Partei vorbei und auf den ersten Platz der jugendlichen Beliebtheit zog ausgerechnet ihre Antithese: die AfD. Insgesamt 22 Prozent aller jungen Menschen würden die Partei derzeit wählen; sie ist damit die beliebteste Partei der sogenannten Generation Z. Vor zwei Jahren hatten lediglich neun Prozent mit den Blauen sympathisiert.
Wer sich um Migration sorgt, fürchtet auch die Inflation
Damit einher geht ein deutlich verschärftes Gespür für die Krisen und Herausforderungen des Landes. Vor allem die Sorge um Inflation, die Spaltung der Gesellschaft, Wirtschaftskrise und die Zunahme von Asylströmen hat bei jungen Menschen stark zugenommen. 2022 sorgten sich 55 Prozent der Jungen um den Klimawandel, 2024 sind es 49 Prozent. Die Sorge vor Inflation steigt von 46 Prozent auf 65 Prozent. Befürchteten vor zwei Jahren lediglich 22 Prozent eine Zunahme von Asylströmen, sind es mittlerweile 41 Prozent.
Erstmals wurde auch das Thema „Teurer und knapper Wohnraum“ abgefragt und entpuppte sich als drittgrößte Sorge – 54 Prozent aller Befragten machen sich hierzu Gedanken. Dabei scheinen wirtschaftliche und gesellschaftliche Befürchtungen miteinander verwoben – Jugendliche, die sich besonders große Sorgen um Inflation und Wohnraum machen, sehen auch die derzeitige Migrationspolitik kritischer.
Corona ist als Thema, wenig überraschend, abgemeldet. Dennoch wirke es so, „als hätte die Corona-Pandemie eine Irritation im Vertrauen auf die Zukunftsbewältigung hinterlassen, die sich in einer anhaltend tiefen Verunsicherung niederschlägt“, schreiben die Autoren.
Die Grundangst der Generation Z, so mutmaßte der Psychologe Stephan Grünewald im Gespräch mit der Zeit, sei die „Erfahrung, daß überall im Freundeskreis Familien auseinanderbrechen und Patchwork-Verhältnisse entstehen: alleinerziehende Mütter, desertierende Väter“. Statt zur offenen Revolte gegen Autoritäten verleite sie dieses Mißverhältnis eher zu dem Versuch, „das familiäre System zu stabilisieren“. Junge Menschen versuchten, „mit ihrer sozialen Kleindiplomatie den Familienladen zusammenzuhalten“. Damit einher gehe auch ein politischer Konservatismus. Der Typus des transformationsfreudigen „engagierten Optimisten“ sei seit dem Jahr 2023 stark zurückgegangen, die nach rechts orientierten Adoleszenten charakterisierte Grünewald hingegen als „enttäuschte Radikale“.
Aber was hat das nun alles mit TikTok zu tun? Laut Studie informieren sich die jüngeren Generationen in erster Linie über soziale Medien zum Thema Politik. Insgesamt 92 Prozent nutzen regelmäßig Whatsapp, an zweiter Stelle folgt Instagram mit 80 Prozent und Youtube mit 77 Prozent. TikTok rangiert noch auf den hinteren Plätzen, nimmt aber an Bedeutung zu: Etwas mehr als die Hälfte, 51 Prozent, nutzen das Netzwerk regelmäßig. Noch vor einem Jahr waren es lediglich 44 Prozent. Besonders hier hat die AfD eine mittlerweile hegemoniale Stellung erreicht. Sechs der zehn meistangesehenen Politiker-TikTok-Kanäle gehören AfD-Politikern.
Doch wie ist die Studie einzuschätzen? Die JUNGE FREIHEIT befragte dazu den renommierten Demoskopen und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Insa, Hermann Binkert. Tickt die Jugend wirklich „rechter“ als die anderen Generationen? „Das kann man so pauschal nicht sagen“, sagt Binkert. „31 Prozent aller Befragten verorten sich selbst links der Mitte. Unter den 16- bis 29jährigen sind es 41 Prozent. 22 Prozent aller Befragten verorten sich selbst rechts der Mitte. Aber nur 18 Prozent der 16- bis 29jährigen.“
Ist also gar nichts dran an den Ergebnissen der Jugend-Studie? „Wer sagt Ihnen, daß jeder AfD-Wähler sich selbst rechts der Mitte verortet?“ Bei den 16- bis 29jährigen habe die AfD „tatsächlich leicht überdurchschnittliche Werte“, erklärt Binkert. „18 Prozent in dieser Altersgruppe beabsichtigen, bei der Europawahl für die AfD zu stimmen. Zum Vergleich: Bei den über 60jährigen sagen das nur 12 bis 13 Prozent.“
Die stärksten Wählergruppen der AfD seien aber nach wie vor die mittleren Altersgruppen. „Unter den 30- bis 49jährigen kommt die AfD auf 21 Prozent, bei den 50- bis 59jährigen auch auf 18 Prozent“, berichtet der Meinungsforscher. Allerdings sei das Potential für neue Wähler bei Jüngeren höher. „Jeder elfte unter den 30jährigen (neun Prozent), der bisher nicht oder eine andere Partei wählt, könnte sich vorstellen, die AfD zu wählen.
Zudem seien junge Menschen politisch eher ungebunden. „Und deshalb sind sie für alle Parteien eine interessante Zielgruppe.“ Nicht nur für die AfD.